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 2. Kapitel ~Das Verhör~

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Enrico
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BeitragThema: 2. Kapitel ~Das Verhör~   2. Kapitel ~Das Verhör~ EmptySo Jan 31, 2016 3:57 pm

2. Kapitel
~Das Verhör~


Der starke Vater, der immer schützend vor ihr gestanden hat, liegt nun ruhig auf der Trage. Seine Augen sind geschlossen, sein Brustkorb bewegt sich nicht. Ein tiefes Loch klafft in seiner Kehle, Blut besudelt sein Jackett und ist ihm bis in den Schritt gelaufen. Das war kein natürlicher Tod, das war Mord - hämmert es durch ihren Kopf. Wütend betrachtet sie die Wunde am Hals. Wer hat das getan? Wer wagt es, sich Zugang zu ihrem Haus zu verschaffen und ihrer Familie das anzutun? Ihr fallen gleich ein dutzend Feinde ein, die es auf ihren Vater abgesehen haben, aber nur einer wurde verhaftet. Nein, ihr Mann würde niemals, oder doch? Er hat schon so viele abscheuliche Dinge getan, hat er diese Grenze nun auch überschritten? Judys Hände verkrampfen sich, sie beginnt zu zittern, das Tuch presst sie eng an ihren Körper. Ihren Blick kann sie nicht vom getöteten Vaters lösen.
„Miss!“ Eine junge Frau in einem weißen Kittel kommt aus der Tür. Sie läuft die Stufen hinab und bleibt neben ihr stehen. Judy kann ihre warmen Hände auf ihren Schultern spüren, doch noch immer ist sie nicht fähig sich zu rühren, oder gar etwas zu sagen.
„Alles in Ordnung Miss?“, will die Frau wissen, doch Judy bleibt stumm. Ein Mann in Uniform kommt zu ihnen. Er schiebt sich zwischen die Trage und Judy und sieht sie eindringlich an.
„Kennen sie den Mann Mam?“, will er wissen.
„Mein Vater“, piepst sie atemlos, zu mehr ist sie nicht fähig. Obwohl ihr nun der Blick auf den getöteten Vater versperrt ist, ist ihr dessen Anblick noch immer präsent vor Augen. Er kann nicht tot sein, das ist einfach unmöglich. Aaron hat bisher noch jeden Anschlag überlebt und in letzter Zeit ist doch alles ruhig gewesen. Er hat seine Geschäfte an den Schwiegersohn abgegeben, wieso also? Sie versteht die Welt nicht mehr und starrt hilflos ins Leere.
Kleine Finger berühren ihre Hand, ein blonder Junge sieht besorgt zu ihr auf.
„Mama?“ Wieder kann sie nicht antworten, nur die kleinen Finger umschließt sie fest und Halt suchend. Der Polizist nimm ihr das Tuch ab. Er breitet es über dem toten Großvater aus und winkt die Männer fort, die die Trage halten. Sie gehen weiter. Judy sieht ihnen nach. Sie bringen ihn einfach weg, wortlos und ohne noch einmal zurück zu schauen. Sie träumt sicher nur. Es muss ein Traum sein, denn es fühlt sich so unwirklich an.
Zwei Kinderhände krallen sich in ihr Kleid, der Kopf ihrer Tochter drück sich an sie. Das Kind ist über und über mit roten Flecken beschmutzt. Sie zittert und vergräbt sich unter Judys rundem Bauch. Ängstlich lugt sie immer wieder hervor und die fremden Menschen an, von denen sie umgeben sind.
Erst jetzt kommt die Mutter wieder zu sich. Sie muss ihre Kinder aus dieser Situation heraus bringen. Am besten sie gehen ins Haus, dort kann sie ihnen einen heißen Tee kochen, damit sie sich aufwärmen können, dann wird sie sie in warme Decken wickeln und vor den Kamin setzten. Judy löst die Hand ihrer Tochter von ihrem Kleid und schiebt sie an den Beamten und der Ärztin vorbei, die Treppe zum Anwesen hinauf und durch die offene Tür. Der Junge an ihrer Hand folgt ihr, bis sie den Flur erreichen, dann halten sie alle drei abrupt an.
Über den Boden zieht sich eine lange, blutige Schleifspur, am Rahmen der Küchentür klebt ein roter Handabdruck, Streifen ziehen von dort an der Wand entlang. Erschrocken hebt die Mutter die Hand vor den Mund. Ihre Kinder drängen sich ängstlich an sie. Selbst Rene vergräbt jetzt seinen Kopf in ihrem Kleid. Sie zittern beide. Amy beginnt zu wimmern, große Krokodilstränen rollen ihr von den schmutzigen Wangen.
Judy schwinden bei dem vielen Blut in ihrem Haus die Sinne, ihr Magen zieht sich krampfhaft zusammen. Schützend legt sie beide Hände über ihren Bauch und versucht krampfhaft den Brechreiz unter Kontrolle zu bringen. Ein heftiger Schmerz durchzuckt ihren Unterleib und lässt sie stöhnen. Mit der Hand sucht sie halte am Türrahmen.
„Mam, können sie mir ein paar Fragen beantworten?“, hört sie hinter sich den Polizisten. Ist das seine einzige Sorge? Hier drin tobt das Chaos, ihre Kinder sind völlig aufgelöst, sie hat gerade den entstellten Körper ihres Vaters gesehen und das Kind in ihrem Bauch boxt sie unentwegt in die Rippen. Judy gibt keine Antwort. Sie krümmt sich zusammen und umschlingt krampfhaft ihren Bauch.
„Mama?“
„Mami?“, kreischen ihre Kinder und sehen ängstlich zu ihr auf. Judy zwingt sich ein Lächeln ins Gesicht und versucht sich wieder aufzurichten, doch der Schmerz zwingt sie zurück in eine gebeugt Haltung.
„Sehen sie nicht, das die Frau hoch schwanger ist und unter Schock steht?“, faucht die Ärztin. Sie drängt den Beamten bei Seite und kommt zu ihr, sie hakt die werdende Mutter unter ihren Arm ein und stützt sie.
„Haben sie hier ein Zimmer, wo sie sich hinlegen können?“, will sie von Judy wissen. Sie überlegt kurz. Am gemütlichsten ist das Wohnzimmer, dort steht der Kamin. Ihr ist so kalt, eisige Schauer rinnen ihr den Rücken hinab, während sich Schweißperlen auf ihrer Stirn bilden und ihr ins Gesicht laufen.
„Ja das Wohnzimmer!“, krächzt sie angestrengt. Ihr Sohn löst sich von ihr und geht voraus.
„Hier lang!“, erklärt er und übernimmt die Führung. Ungeachtet läuft er durch die blutige Lache am Boden. Sein Schuhe verteilen rote Abdrücke durch das ganze Haus, während er der Ärztin den Weg weißt. Judy stolpert der jungen Frau im Kittel nach. Ihre Tochter klammert sich so fest in ihr Kleid, dass sie sich kaum bewegen kann. Der große Bauch, erscheint ihr noch schwerer als sonst. Ihr Atem geht stockend, jeder Schritt ist ihr zu viel. Als sie endlich das Wohnzimmer erreichen, öffnet Rene die Tür und schiebt sie weit auf. Wohlige Wärme kommt ihnen entgegen. Judy sieht sich im Raum um. Zwei Sessel und ein Sofa stehen vor dem Globus mit den Spirituosen. Ein Feuer knistert im Kamin. Alles ist so, wie sie es verlassen hat. Sie atmet tief durch. Wenigstens hier können sie einen Moment zur Ruhe kommen. Die Ärztin bugsiert sie durch den Raum und bringt sie zum Sofa. Schwer wie ein Stein, lässt Judy sich darauf fallen. Die Frau im Kittel hebt ihre Beine an und legt sie auf die Sitzfläche, mit zwei Kissen lagert sie ihre Füße weit oben. Der Schwindel und Brechreiz ebbt ab, aber der Schmerz in ihrem Bauch bleibt.
„Mein Baby!“, keucht sie und sieht hilfesuchend zur Ärztin. Die Frau nimmt ihr Stethoskop, das sie sich um den Hals gelegt hat und steckt sich die Gummienden in die Ohren. Sie tastet Judys Bauch ab und hört in ihn hinein. Angespannt beobachtet die junge Mutter sie dabei.
Die Ärztin lächelt aufmunternd und legt ihre Hand ums Judys Schulter: „Es ist alles in Ordnung, das ist nur der Schock. Versuchen sie sich zu beruhigen“, rät sie. Judy atmet durch und sieht sich nach ihren anderen beiden Kindern um. Rene hat sich in den Sessel gesetzt, der dem Kamin am nächst ist. In seinem Schoß sitzt seine Zwillingsschwester und klammert sich Schutzsuchen an ihn. Der Junge streicht der Schwester beruhigend über die glatten Haare und sieht geistesabwesend ins Kaminfeuer. Sie kann sich jetzt nicht ausruhen, sie muss für ihre Kinder da sein. Schwerfällig schiebt sie ihre Beine vom Sofa. Unter den mahnenden Blick der Ärztin, setzt sie sich hin.
„Amy, Rene, kommt zu mir!“, ruft sie die Geschwister. Das Mädchen schaut unruhig auf, sie zögert einen Moment, dann löst sie die verkrampften Hände um das Jackett ihres Bruders und rutsch vom Sessel. Mit großen Tränen in den Augen, wirft sie sich der Mutter in die Arme und schluchzt herzzerreißend. Beruhigend streichelt Judy ihr über den Rücken und wiegt sie in ihren Armen.
„Schhh schh, es wird alles wieder gut“, flüstert sie ihr zu und sieht auffordernd zu ihrem Sohn. Der Junge sitzt noch immer im Sessel. Als sie ihn zu sich winkt, schüttelt er nur mit dem Kopf und starrt wieder in die Flammen.
Wenn doch jetzt nur ihr Mann hier wäre, um sich um den Jungen zu kümmern. Er braucht jetzt auch eine starke Schulter.
„Haben sie Verwandte, die sie anrufen können? Sie sollten jetzt wirklich nicht allein bleiben“, will die Ärztin wissen. Judy denkt nach: Ihre Mutter ist getötet wurden, als sie noch ganz klein war, sie kann sich nicht mal mehr an ihr Gesicht erinnern. Ihre ältere Schwester ist auch erst vor einigen Monaten beerdigt worden. Es gibt nur noch ihre älteste Schwester Susen, der sie sich anvertrauen kann. Oh Gott, wie soll sie ihr nur die schreckliche Nachricht überbringen? Die junge Mutter schluckt schwer und schafft es doch nicht, den großen Kloß in ihrem Hals hinunter zu würgen. Tränen stauen sich in ihre, die sie vergeblich weg zublinzeln versucht. Arme Susen, sie hat schon den Tod der Schwerst kaum verkraftet.
„Miss?“ Die Hand der Ärztin legt sich auf ihre Schulter. Judy erinnert sich daran, das sie etwas gefragt wurde.
„Meine … meine Schwester könnte ich anrufen“, murmelt sie.
„Kennen sie ihre Nummer? Dann rufe ich sie an“, bietet die Ärztin an. Die Nummer? Ja sie kennt die Nummer auswendig, aber die Zahlen wollen ihr einfach nicht einfallen. Krampfhaft überlegt sie, doch ihre Gedanken wirbeln wirr durcheinander. War es Sieben, Acht, Acht, Zwei, oder Acht, Sieben, Acht, Zwei? Sie weiß es nicht mehr. Hilflos schüttelt sie schließlich mit dem Kopf.
„Ich mach schon“, schlägt ihr Sohn vor. Er rutscht vom Sessel und läuft aus dem Wohnzimmer. Erstaunt sie Judy ihm nach. Er lässt die Tür weit offen stehen und rennt zum Telefonaparat im Flur. Seine kleinen Finger drehen die Wählscheibe einige male, den großen Hörer hält er sich ans Ohr. Eine ganze Weile passiert nichts, dann beginnt der Knabe zu sprechen: „Hallo Raphael!“ Offensichtlich ist der Mann ihrer Schwester ans Telefon gegangen, zum Glück ist jemand zu Hause.
„Bitte, kannst du ganz schnell vorbei kommen? Ich glaube Vater hat was ganz schlimmes gemacht. Opa und die Hunde sind tot und Mama geht es schlecht!“
Die Worte ihres Sohnes stechen ihr direkt ins Herz. Erst jetzt beginnt sie wirklich zu realisieren, was hier passiert ist. Der Großvater ihrer Kinder ist tot und ihr Mann wurde verhaftet. War es wirklich Enrico, der diese Tat begangen hat? Aber dafür gibt es doch gar keinen Grund. Verzweifelt bettet Judy ihren Kopf in den Händen. Was soll nun ohne ihren Vater werden? Was soll sie machen, wenn ihr Mann nie wieder aus dem Gefängnis kommt, vielleicht wird er sogar für seine Tat hingerichtet. Bei diesem Gedanken bleibt ihr der Mund weit offen stehen. Wie soll sie denn ganz allein mit den Kindern überleben?
Ein starkes Stechen zerreißt ihren Unterleib, wieder krümmt sie sich vor Schmerz, er nimmt ihr die Luft zum Atmen. Die Ärztin schiebt sie an den Schultern zurück aufs Sofa und leg ihre Beine auf die Kissen.
„Ruhig atmen!“, redet sie ihr ein, doch Judy bekommt immer weniger Luft. Ihr Brustkorb ist wie zugeschnürt, ihre Kehle rau und kratzig. Die Ärztin eilt aus dem Zimmer, Judy sieht ihr entsetzt nach. Eine kalte Kinderhand packt die ihre. Amy schaut sie mit ihren dunklen Knopfaugen besorgt an und streichelt ihren Handrücken. Vergeblich versucht Judy sie beruhigend anzulächeln. Die Schmerzen sind einfach zu groß, um dem Kind etwas vorzumachen.
Mit einem großen Koffer in der Hand, kommt die junge Ärztin zurück. Sie stellt ihn auf dem Couchtisch ab und öffnet die Schnallen. Sie holt ein kleines Fläschchen und eine Spritze heraus und sticht die Nadel in den Deckel. Die Flüssigkeit saugt sie ins Innere und wendet sich wieder Judy zu. Sie nimmt ihren Arm und drückt die Nadel in ihre Armbeuge. Der Stich lässt sie zusammen zucken. Kalte Flüssigkeit verteilt sich in ihren Venen, es brennt unangenehm. Sie zieht die Luft scharf zwischen den zusammengebissenen Zähnen ein. Ein wollig warmes Gefühl breitet sich in ihr aus, ihr Herz und ihr Atem beruhigen sich langsam. Einige Male holt sie tief Luft, dann hat sie wieder die Kraft, ihre Tochter anzusehen. Das Kind betrachtet sie noch immer ängstlich und hält ihre Hand im festen Griff umschlungen. Judy legt ihre freie Hand um die Wange der Tochter und sieht sie beruhigend an.
„Es geht wieder“, sagt sie sanft und zieht das Mädchen zu sich.
Ihr Sohn kommt zurück ins Wohnzimmer gelaufen, als er die Spritze in der Hand der Ärztin sieht, schaut er erschrocken. Die Frau im Kittel legt die Spritze zurück in den Koffer, dann geht sie zu dem Jungen und kniet sich zu ihm hinab. Sie legt ihre Hand auf seine Schulter und lächelt ihn aufmunternd an, als sie sagt: „Keine Sorge junger Mann. Ich habe deiner Mutter nur eine Beruhigungsspritze gegeben. Es geht ihr gleich wieder besser.“ Er erwidert nichts, sondern lugt um sie herum zum Sofa. Seine Worte richtet er an die Mutter: „Raphael und Susen kommen gleich vorbei.“ Sie nickt dem Kind dankbar zu. Rene nimmt die Hand der Ärztin von seiner Schulter und läuft an ihr vorbei zum Sessel, in dem er schon zuvor gesessen hat. Er klettert auf die Sitzfläche und macht es sich darin gemütlich. Sein Blick wandert wieder ins Kaminfeuer, abwesend betrachtet er es.

„Frau River, ich habe noch immer ein paar Fragen an sie.“ Erschrocken schaut Judy zur Wohnzimmertür. Der Beamte von vorhin tritt ein. Er hält einen Block und Stift in den Händen.
„Sehen sie nicht, dass die Frau unter Schock steht?“, schimpft die Ärztin. Sie sieht den Beamten vorwurfsvoll an, doch dieser lässt sich nicht beirren.
„Wir ermitteln hier in einem Mordfall“, entgegnet er angriffslustig, „Und sie haben ihr gerade eine Beruhigungsspritze gegeben. Ein paar Fragen dürfen doch wohl nicht zu viel verlangt sein. Kümmern sie sich lieber, um ihren Job und lassen sie mich meinen machen!“ Die Ärztin knirscht mit den Zähnen und packt ihren Koffer zusammen.
„Vermeiden sie alles, was die werdende Mutter aufregen könnte!“, schnaubt sie noch, dann geht sie. Judy sieht ihr entsetzt nach. Will sie sie wirklich mit diesem unfreundlichen Mann allein lassen? Der Kerl ist ihr nicht geheuer und sie hat doch auch keine Informationen, mit denen sie der Polizei weiter helfen kann. Sie war ja nicht einmal im Haus, als ihr Vater ermordet wurde. Der unfreundliche Polizist setzt sich in den freien Sessel, ihr direkt gegenüber. Er schlägt eine neue Seit in seinem Notizblock auf und sieht sie auffordernd an.
„Wann haben sie ihren Mann das letzte Mal gesehen?“, beginnt er. Judy betrachtet ihn stumm und eindringlich. Ist es wirklich sein Ernst, das Verhör hier und jetzt und vor den Kindern zu führen?
„Können wir das ganze nicht verschieben? Sehen sie nicht, dass es mir und den Kindern nicht gut geht?“ Der Beamte schaut unbeeindruckt zurück. Er verzieht keine Mine, als er antworte: „Mam, sie müssen doch auch wollen, dass der Mord an ihrem Vater, möglichst schnell aufgeklärt wird.“ Sie seufzt ergeben, natürlich will sie das, aber ihre Kinder müssen dabei doch nicht unbedingt zuhören.
„Meine Kinder sind immer noch hier.“
„Dann schicken sie sie weg!“
„Ganz allein? Haben sie sich hier mal umgesehen?“ An den Wänden und auf dem Boden klebt überall Blut, ihre Tochter klammert sich noch immer ängstlich an sie. Wie kann er da verlangen, dass sie die beiden allein wegschickt?
„Wenn sie nicht bereit sind zu kooperieren, dann muss ich annehmen, dass sie etwas mit der Sache zu tun haben.“ Wütend drück Judy sich in eine sitzende Position und richtet sich auf. Mit ausgestrecktem Arm deutet sie auf die Tür und schreit laut: „Raus! Raus aus meinem Haus!“
„Setzen sie sich wieder! Die Aufregung tut ihnen und ihrem ungeborenen Kind nicht gut“, erklärt der Polizist ruhig und sachlich. Judy betrachtet ihn weiterhin wütend. Er ist es doch, der sie so aufregt. Das Mittel in ihrem Blut betäubt ihre Sinne, ihr wird schwindelig. Seufzend lässt sie sich aufs Sofa sinken. Der Polizist sitzt weiterhin ungerührt in ihrem Sessel. Dieser verdammte Mistkerl nimmt sie nicht ernst und macht auch keine Anstalten ihrem unmissverständlichen Rauswurf nachzukommen. Sie ist eben nur eine Frau. Wenn ihr Mann den Kerl des Hauses verweisen würde, wäre er sicher aufgestanden. Sie seufzt ergeben. Wenn doch nur ihr Vater noch am Leben wäre, der würde dafür Sorgen, dass dieser Kerl seine Dienstmarke am nächsten Tag abgeben kann.
Rene rutsch von seinem Sessel, er kommt zum Sofa und nimmt die Hand seiner Schwester. Obwohl das Mädchen sich erbittert wehrt, löst er sie von Judy. Er schiebt sie sanft aber bestimmt, aus dem Zimmer und sieht noch einmal nickend zu seiner Mutter zurück. Sie schaut ihm seufzend nach. Wieder einmal, muss sie viel zu viel von ihm abverlangen. Die weinende Schwester zu beruhigen und hier im verwüsteten Anwesen ganz allein zu bleiben, das sollte er nicht aushalten müssen, aber das Verhör ist noch viel schlimmer. Sie nickt ihrem Sohn zu und schenkt ihm ein dankbares Lächeln. Der Knabe schließt die Tür nach sich. Seine Schritte und die der Schwester verhallen im Flur. Hoffentlich kann er Amy beruhigen und das Gespräch dauert nicht all zu lange. Judy wendet sich wieder dem Beamten zu. Er lächelt selbstgefällig.
„Gut, dann haben wir ja eine Lösung gefunden. Also, wann haben sie ihren Mann das letzte Mal gesehen?“ Sie atmet durch und versucht sich auf die gestellte Frage zu konzentrieren. Das Mittel in ihrem Blut macht sie schläfrig und beginnt zunehmend ihre Gedanken zu vernebeln.
„Heute Morgen, bevor ich mit den Kindern das Haus verlasen habe, um zum Strand zu gehen“, berichtet sie wahrheitsgemäß.
„Gab es da schon irgendwelche Anzeichen, für einen Streit ihres Vaters mit ihm?“ Judy lächelt wehmütig. Die beiden streiten doch ständig. Ihr Vater ist Gehorsam gewohnt und ihr Mann jemand, der jede Autorität untergräbt. Wenn sie nicht gerade wegen der Geschäftsführung streiten, dann wegen ihr und der Kindererziehung.
„Nein, eigentlich nicht“, lügt sie und sieht den Mann eindringlich an, „Sie verstehen sich gut.“
„Sind sie sich sicher Mam? Ihr Ehemann ist nun Alleinerbe eines riesigen Vermögens. Außerdem wurde er mit der Tatwaffe in der Hand von uns überwältigt.“ Judy schaut erschrocken und versucht vergeblich, sich nichts anmerken zu lassen. Kann es denn wirklich sein, dass ein Streit der Beiden derart eskaliert ist? Eigentlich kann sie sich das nicht vorstellen. Sie gehen zwar oft, wie Hund und Katze aufeinander los, aber im Grunde mögen sie sich sehr. Sie sind sich einfach nur zu ähnlich. Zwei Sturköpfe, die beide nicht nachgeben wollen.
„Dabei muss es sich um ein Missverständnis handeln“, zwingt sie sich zu sagen, doch ihre Stimme klingt nicht fest genug. Es wäre nicht der erste Mord, den ihr Mann verübt hat.
„Ein Missverständnis, Mam?“ Sie nickt eifrig. Der junge Beamte verdreht die Augen.
„Sie wissen schon, das Gerüchte kursieren, die beiden Männer würden der Mafia angehören, sie sollen ganz hohe Tiere sein.“ Das ist doch eine Fangfrage, oder? Niemand weiß von den Dingen, die sich in diesem Haus abspielen, ganz besonders die Polizei nicht.
„Davon weiß ich nichts. Mein Mann spricht nicht über seine Geschäfte mit mir“, lügt sie wieder. Sie kennt die Machenschaften, in die Enrico und ihr Vater verstrickt sind, sie weiß von dem illegale Glücksspiel, den Waffenhandel und die unzähligen geklauten Fahrzeuge in der Fabrik ihres Mannes. Als Tochter des Paten, ist sie mit diesem ganzen Misst aufgewachsen. Ihr Vater führte noch bis vor ein paar Tagen, die italienische Mafia an. Jetzt hat diese Aufgabe ihr Mann übernommen. Es gibt genug Menschen, die die beiden tot sehen wollen.
„Ich habe das Gefühl, dass sie mir nicht die Wahrheit sagen, Mam.“
„Ihre Gefühle sind mir herzlich egal! Finden sie lieber den Mörder meines Vaters und lassen sie mich und meine Kinder in Frieden!“, fordert sie. Der Beamte schaut unbeeindruckt. Er schlägt die Beine übereinander und wippt mit dem Fuß.
„Wir haben den Mörder bereits verhaftet. Jetzt müssen wir nur noch herausfinden, wer alles mit in die Sache verstrickt ist.“ Soll das etwa eine Andeutung sein, dass sie ebenfalls verdächtigt wird? Judy holt Luft für einen Einspruch, doch im letzten Moment schluckt sie ihn wieder hinunter. Der Kerl versucht sie doch nur zu provozieren. Wenn die ganze Sache so eindeutig wäre, warum sitzt sie dann noch hier und hat nicht bereits Handschellen angelegt bekommen? Bei der Gelegenheit fallen ihr die Worte des Butlers wieder ein. War es das, was Jester ihr sagen wollte? 'Er ist nicht schuld', hat er unter Schmerzen gestöhnt. Hat der alte Mann etwa alles mitansehen müssen? Wenn ja, dann ist er Zeuge und kann ihren Mann vielleicht entlasten. Siegessicher sieht sie den Beamten an und setzt sich gerade und aufrecht hin. Stolz hebt sie den Kopf und lässt ihn wissen: „Als ich hier ankam, bat mich unser Butler ihnen mitzuteilen, dass mein Mann nichts mit der Sache zu tun hat. Er hat den Mörder mit Sicherheit gesehen und kann ihnen eine genaue Täterbeschreibung geben. Ich bin von der Unschuld meines Mannes überzeugt und habe ihnen nichts weiter zu dieser Sache zu sagen. Wenn sie jetzt bitte mein Haus verlassen würden!“ Diese Mal klingt ihre Stimme fest und glaubwürdig. Der Beamte sieht sie lange und eindringlich an, doch sie wendet den Blick nicht ab. Fest schaut sie ihm in die kalen Augen, bis er sich schließlich abwendet.
„Wie sie meinen Mam“, sagt er und erhebt sich. Er klappt den Notitzblock zu und steht auf. Mit festen Schritten geht er auf die Tür zu.
„Sie finden ja allein raus“, ruft sie ihm nach. Er erwidert nichts, kommentarlos verlässt er den Raum. Seine Schritte verhallen vor der Tür. Judy atmet tief durch, einmal, zwei mal, doch die Aufregung in ihrem Herz will nicht verschwinden. Sie wendet ihren Blick dem Kamin zu. Das Feuer darin lodert warm und knistert. Stimmt es wirklich? Wurde ihr Mann tatsächlich mit der Waffe in der Hand überwältigt, die ihren Vater getötet hat? Ist er es gewesen? Aber warum? Seit einem Monat, ist ihr Mann das Oberhaupt ihrer Familie, er hat Zugriff auf alle Geschäftskonten, er könnte sein ganzes Erbe verprassen, ohne ihren Vater um Erlaubnis bitten zu müssen. Er hat gar keinen Grund Aaron zu töten.
Judy vergräbt das Gesicht in den Händen. Sie beginnt zu weinen, leise und lautlos, damit sie die Kinder nicht hören können.
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