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 3. Kapitel ~Tag des Ausfluges~

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Enrico
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BeitragThema: 3. Kapitel ~Tag des Ausfluges~   3. Kapitel ~Tag des Ausfluges~ EmptyMo Dez 19, 2016 7:55 am

3. Kapitel
~Tag des Ausfluges~

Der Rand eines tiefen Abgrundes, Felsen, die steil abfallen. Ich will auch dort stehen!
In Reih und Glied, haben sich alle Jungen am Rande der Schlucht versammelt. Ungeduldig trippeln sie von einer auf die andere Pranke. Lun-Luns Schwanz peitscht kleine Steine hin und her. Die Flügel der Jungen zappeln aufgeregt. Ängstlich starren sie in die Tiefe. Diese Feiglinge!
Ich wäre schon längst gesprungen, nicht mal das Kommando meines Vaters, hätte ich abgewartet. Auf einem Felsen, sitzt der mächtige, schwarze Drache und hat das Haupt hoch erhoben. Sein Schwanz steht steil über seinem Kopf. Als Oberhaupt des Clans, wird er das Zeichen zum Absprung geben.
Wie gemein von ihm, dass er mir den Sprung verboten hat, nur weil mir noch immer keine Flügel gewachsen sind. Scheu schaue ich zu Großvater auf.
Stolz betrachtet er Lun-Lun, von mir nimmt er nicht einmal Notiz, dabei stehe ich direkt zwischen seinen Pranken. Grimmig schaue ich sie alle an. Ich müsste es sein, der als Erstes springt, ich bin das älteste Junge dieses Jahrgangs. Angespannt grabe ich meine scharfen Klauen in den Boden. Das ist nicht fair.
Auch Mutter steht bei uns, den Blick angespannt auf die Jungen gerichtet, die Flügel weit ausgebreitet, bereit im Notfall sofort los zu fliegen und einen Absturz zu verhindern. Auch sie beachtet mich nicht.
Vielleicht sollte ich das zu meinem Vorteil nutzen. Ich könnte mich einfach davonschleichen, Anlauf nehmen und noch vor den anderen Jungen von der Klippe springen, so wie es mir mein Geburtsrecht erlaubt. Die Idee gefällt mir. Noch einen letzten prüfenden Blick werfe ich nach oben.
Großvater hat nur Augen für meinen Bruder und auch Mutter sieht zu den Jungen. Perfekt!
Meine Muskeln spanne ich an, ich ducke mich tief, schlage meine Pranken in den Boden. Starr richte ich meine Aufmerksamkeit auf Vater und warte angespannt auf sein Signal.
Er senkt den Schwanz.
Ich rase los. Mit aller Kraft voraus, presche ich nach vorn. Ein kräftiger Ruck geht durch meinen Körper. Etwas reißt an meinen Schwanz, ich schnappe zurück und pralle gegen die Pranke meines Großvaters. Als ich mich erschrocken umwende, steht eine seiner Krallen auf meinem Schwanz. Gehässig sieht er auf mich herab.
„Das war wohl nichts“, sagt er lächelnd.
Genervt brumme ich in mich hinein, mit den Krallen tripple ich auf den harten Boden herum.
Während ich resigniere, springen die Jungen einer nach dem Anderen von der Klippe.
Mutter zuckt bei jedem Absprung zusammen. Als Lun-Lun sich hinabstürzt, schnellt sie zum Abgrund und blickt über den Rand hinab. Auch Großvater reckt den Kopf nach vorn, um besser sehen zu können.
Ich rolle mit den Augen. Er wird es schon schaffen.
Nach und nach taucht ein Junges nach dem anderen aus der Schlucht auf. Ungeschickt schlagen sie mit den Flügeln und strampeln hilflos mit den Beinen. Diese Anfänger!
Als auch mein Bruder aus der Schlucht auftaucht, tritt Großvater einen Schritt vor. Seine Pranke hebt sich von meinem Schwanz.
Das ist meine Chance. Jetzt oder nie! Ich springe auf und wetze los. Elegant schlängle ich mich an Mutter und Großvater vorbei, vorbei auch an dem großen Felsen und Vater. Der Rand des Abgrunds ist zum Greifen nah.
Hinter mir höre ich Großvater verächtlich schnauben.
Mutter hält entsetzt den Atem an, sie schnappt mit ihrem großer Kopf nach mir.
Ich weiche zur Seite aus. Ein letztes Mal berühren meine Pranken den Boden, ein letztes Mal schlage ich meine Krallen in den Stein. Mit aller Kraft drücke ich mich ab. In meiner ganzen Länge, dehne ich meinen geschmeidigen Körper. Ein steter Wind ergreift von mir Besitz. Er durchströmt mein Fell und bauscht es auf. „Freiheit!“, rufe ich laut aus und spreize alle vier Pranken weit auseinander. Mit geschlossenen Augen genieße ich den freien Fall, den Wind, das flaue Gefühl im Magen. Die Zeit bleibt stehen, alles ist so neu, so anders, so …
Etwas Hartes trifft meine Schulter, meinen Schwanz. Ich öffne Augen öffne, Himmel und Felswand überschlagen sich. Bäume und Äste, kleine und große Felsbrocken fallen mir nach. Sie treffen mich an der Schnauze, an den Pranken und im Rücken. Ich stöhne gequält, versuche mit den Krallen Halt zu finden, wo keiner ist. Alles dreht sich, Oben und Unten sind vertauscht.
Ein dunkler Schatten folgt mir und hüllt mich ein. Hart wird mein Kopf getroffen. Warmes Blut läuft mir ins Gesicht. Es dröhnt und summt in meinem Schädel. Dann wird es ganz still.

Nichts, langes, dunkles Nichts.
„Isekil, Isekil! Komm doch zu dir! Wach schon auf!“
Nicht an mir rütteln, das tut weh! Ich versuche nach den Krallen zu schlagen, die mich berühren, doch ich kann meine Pranken nicht heben. Sie sind schwer wie Blei. Ich blinzle, schaffe es kaum die Augen aufzuschlagen. Mein Kopf tut so weh.
Großvater sieht grimmig auf mich herab. Neben ihm stehen Mutter und Lun-Lun, besorgt werde ich von ihnen gemustert.
Ich versuche den Kopf zu heben, doch er sackt auf meine schmerzenden Pranken zurück.
„Lasst mich durch!“, verschafft sich die raue Stimme meines Vaters Gehör. Ich zucke bei ihrem Klang zusammen. Das Oberhaupt unseres Clans, schiebt sich an Großvater, Mutter und Lun-Lun vorbei. Zwei große Pranken bleiben vor mir stehen, ein mächtiger Kopf, mit langen gewundenen Hörnern, senkt sich zu mir hinab.
Ich schlucke schwer und zwinge mir ein schelmisches Grinsen auf die Lefzen.
„Was hast du dir nur dabei gedacht? Du könntest tot sein!“, schreit Vater so laut, das es mir in den Ohren nachklingt.
Ich presse meine Pranken gegen den Kopf. „Nicht so laut“, bitte ich, doch meine Stimme ist nicht mehr als ein Flüstern.
Er überhört mich und donnert lauthals weiter: „Ich gebe meine Anweisungen nicht aus Spaß. Du hast noch keine Flügel, du kannst nicht fliegen.“
Seine Worte treffen mich direkt ins Herz. Große Tränen fluten meinen Blick. „Ich weiß!“, keuche ich laut genug, um verstanden zu werden. „Mir werden nie Flügel wachsen, ich werde auf ewig auf diesem verdammten Berg festsitzen!“, schimpfe ich und zwinge mich zum Aufstehen. Ich weiß doch selbst gut genug, dass ich mir nur eingeredet habe, auch irgendwann von den Klippen springen zu können. Ohne Flügel kann ein Bergdrache nun mal nicht fliegen. Humpelnd tapse ich an den Pranken meines Vaters vorbei, vorbei auch an Mutter, Lun-Lun, Großvater und den anderen Drachen, die vor unserer Höhle stehen und mich mit ihren mitleidigen Blicken verfolgen. So schnell es mein wunder Körper zulässt, verschwinde ich aus ihrer Sicht und flüchte mich durch ein kleines Loch in der großen Felswand auf der anderen Seite des Versammlungsplatzes. Es ist gerade groß genug, dass ich hindurch passe. In die kleine Höhle dahinter, kann mir niemand folgen. Ich will keinen von ihnen sehen, sie mit ihren großen Flügeln, sie sollen mich alle in Ruhe lassen. Auf einem kleinen Felsen rolle ich mich ein und lasse die Tränen einfach fließen.

Irgendwann muss ich eingeschlafen sein, denn als ich aus meinem Versteck hinaus schaue, ist es bereits dunkle Nacht. Mein verwundeter Körper schmerzt noch immer entsetzlich, also beginne ich die vielen Blessuren und Kratzer zu lecken. Ich bin eine gefühlte Ewigkeit damit beschäftigt, Erde und Blut aus meinem seidigen Fell putzen.
„Isekil?“ Zwei blaue Augen starren aus der Dunkelheit zu mir herein, eine Pranke angelt nach mir. Ich rutsche ein Stück zurück, bis ich mir sicher bin, nicht erreicht werden zu können. „Geh weg!“, murre ich Lun-Lun an und drehe ihm den Rücken zu.
„Komm raus da, du bist jetzt schon den ganzen Tag da drin.“
Ich lecke mir betont langsam über die Vorderpranken und lege mein Fell von einer auf die andere Seite.
„Du kannst doch nicht für immer dort drin bleiben.“ Die Schnauze meines Bruders zwängt sich durch den engen Spalt, er presst seinen Kopf so lange dagegen, bis die Felswand nachgibt und er mit samt Hörnern hindurch passt.
Ich sehe ihn über die Schulter hinweg überrascht an und rutsche noch ein Stück weiter zurück. Er wird doch nicht wirklich durch den Spalt passen?
An den Schultern bleibt Lun-Lun hängen, so sehr er sich auch anstrengt, sie sind zu breit.
Ich atme erleichtert durch und widme mich wieder der Fellpflege.
„Na gut, dann bleib eben da drin, mir egal!“, mault er.
Genau das habe ich auch vor. Ich angle nach meinem Schwanz um auch ihn zu säubern, als kleine Steine von der Felswand bröckeln.
Lun-Lun reist und zieht an dem Loch. „Oh, oh!“, sagt er mit Sorge in der Stimme. Als ich zu ihm zurück schaue, haben sich seine Hörner an der Felswand verhakt. So sehr er auch an seinem Kopf zieht, er kommt nicht frei.
Ich sehe seinen Bemühungen einen Moment lang zu, dann wird auch mir seine aussichtslose Lage klar. „Du Idiot!“, tadle ich und springe auf die Pranken.
Panisch sieht Lun-Lun mich an.
Auch in mir wächst die Unruhe. Ich stemme mich gegen seinen Kopf und drücke so fest ich kann, doch seine Hörner sind wie Widerhaken.
„Das ist alles deine Schuld!“, mault er mich an, „Was musst du auch immer in dieses blöde Loch kriechen?“
„Von wegen meine Schuld. Du bist doch so dumm, mir zu folgen“, knurre ich. Wir ziehen und zerren mit vereinten Kräften, doch er kommt nicht frei. Schließlich weiß ich mir nicht anders zu helfen und nehme so viel Anlauf, wie es die kleine Höhle zulässt. Mit den Hörnern voraus, renne ich auf die brüchige Felswand neben Lun-Lun zu.
Mein Bruder reißt die Augen weit auf, er zerrt noch heftiger an seinem Kopf. Als ich gegen die Felswand pralle, gib das Gestein nach. Wir purzeln übereinander aus der Höhle.
Orientierungslos bleibe ich zwischen den Flügeln meines Bruders liegen.
„Du bringst uns beide noch mal um“, mault Lun-Lun und wirft mich von seinem Rücken.
Ich bleibe, mit den Pranken nach oben, liegen und schaue direkt in den Himmel.
Der volle Mond scheint auf uns herab, unendlich viel Sterne blinken am Firmament. Vor dem Mond zieht ein länglicher Schatten vorbei. Was war das? Ich blinzle um klarer sehen zu können.
Die Konturen werden schärfer, der Schatten bekommt einen silbernen Glanz. Elegant windet sich ein südlicher Himmelsdrache durch die Lüfte und verschwindet im Dunkeln der Nacht. Er ist in Richtung Schneeberge verschwunden.
„Isekil, hörst du mir überhaupt zu?“, will mein Bruder aufgebracht wissen.
Ich beachte ihn nicht, mein Blick schweift zu der fernen Bergkette mit ihren weißen Schneespitzen. Irgendwo dort hinten müssen sie ihre Nester haben. Diese Drachen haben auch keine Flügel und können trotzdem am Himmel schweben. Vielleicht können sie mich ja das Fliegen lehren? Meine Idee beginnt mir immer besser zu gefallen. Ganz von allein setzen sich meine Pranken in Bewegung. Ich laufe wortlos an Lun-Lun vorbei, bis ich den Rand der Klippe erreiche. Abrupt bleibe ich stehen und schaue in die Tiefe. Ein kalter Schauer rinnt mir das Rückrad hinab. Für einen Moment glaube ich meinen Sturz noch einmal zu erleben, die Felsen, die mir nach fallen und mich überall treffen, ich kann sie beinah spüren. Ich mache einen Schritt vom Rand zurück.
„Hey mach keinen Mist! Ich kann noch nicht so gut fliegen, um dich zu retten!“, sagt Lun-Lun.
Ich schaue vom Abgrund, zu den fernen Schneebergen. Wie soll ich jemals dahin kommen, wenn ich es nicht mal von diesem Berg runter schaffe? Es muss doch noch einen anderen Weg hinab geben, als zu fliegen. Ich sondiere die Felswand und kann etliche Vorsprünge ausmachen, die mir groß genug erscheinen, um auf ihnen stehen zu können. Wenn ich von einem zum anderen Klettere, komme ich auch irgendwann unten an.
Ich nehme meinen ganzen Mut zusammen und trete noch einmal an den Rand des Abgrundes. Mit aller Macht, dränge ich die Bilder meines Absturzes zurück und springe auf den Absatz direkt unter mir. Lun-Lun stürmt mir nach. Todesmutig stürzt er sich an mir vorbei, in die Tiefe.
Ich schaue ihm belustigt nach.
„Isekil!“, schreit er aufgebracht.
„Ich bin hier oben, du Dummkopf!“, rufe ich ihm nach und nehme Anlauf, um auf den nächsten Absatz zu gelangen.
Lun-Lun richtet seinen Blick nach oben, er schlägt kräftig mit den Flügeln und steigt zu mir auf. Mit gleichmäßigen Flügelschlägen, hält er sich neben mir in der Luft. „Was hast du jetzt schon wieder vor?“, will er wissen.
Meinen Blick richte ich in die Ferne und sage: „Ich gehe meinen richtigen Vater suchen und bitte ihn, mich das Fliegen zu lehren.“
„Glaubst du immer noch, dass Papa nicht dein Vater ist?“
Ich sehe an mir hinab und breite die Vorderpranken weit aus. „Sieh mich doch an! Ich bin nicht wie ihr. Mir werden nie Flügel wachsen. Ich muss einen Drachen finden, der ist wie ich, damit ich von ihm lernen kann.“
Lun-Lun schweigt, ich kann förmlich sehen, wie es in seinem Kopf zu arbeiten beginnt. „Na schön, aber sollten wir nicht Mutter und Großvater Bescheid geben, damit sie uns ...?“
„Nein!“, schreie ich, „Die werden mich nie gehen lassen. Versprich mir, dass du niemandem etwas erzählst!“
„Ich soll dich also ganz allein gehen lassen? Bist du verrückt geworden? Wer soll dich füttern, während du unterwegs bist?“
„Ich füttere mich selbst“, halte ich dagegen und springe auf den nächsten Absatz.
„Du kannst doch nicht mal fliegen, um zu jagen.“
Genervt sehe ich meinen Bruder. „Wenn du dir solche Sorgen machst, dann komm halt mit.“
Lun-Luns Blick geht an der Felswand hinauf.
Ich beeile mich auf den nächsten Felsvorsprung zu klettern. Bevor mein Bruder auf die Idee kommt, den Clan zu wecken, will ich verschwunden sein.
Lun-Luns Aufmerksamkeit richtet sich wieder auf mich. Er setzt einen Flügelschlag aus und sinkt zu mir herab. „Ich komme mit dir! Ohne mich bist du sowieso so gut wie tot.“
„Du kommst mit?“, frage ich.
„Ja, irgendjemand muss ja auf dich aufpassen.“ Breit grinsend landet Lun-Lun vor mir.
„Ich kann auf mich selbst aufpassen“, protestiere ich lauthals und stoße ihn mit dem Kopf voran vom Felsvorsprung.
Lun-Lun fällt in den Abgrund und rudert aufgebracht mit den Flügeln. „Na warte, das bekommst du zurück!“, knurrt er und kommt zurückgeflogen.
Laut lachend ergreife ich die Flucht und bahne mir einen Weg von Vorsprung zu Vorsprung, immer tiefer.
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