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 2. Kapitel ~Eine unerwünschte Freundschaft~

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Enrico
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BeitragThema: 2. Kapitel ~Eine unerwünschte Freundschaft~   2. Kapitel ~Eine unerwünschte Freundschaft~ EmptySa Jan 08, 2011 4:22 pm

2. Kapitel
~Eine unerwünschte Freundschaft~
Dem Wunsch meines Vaters entsprechend wurde eine “Familie” gegründet. Aus gefürchteten Verbrechern, die zusammen den Clan der Wölfe bildeten, wurden für mich Onkel und Tanten. Deren Hauptsitz und Lager, in einer riesigen Fabrik, offiziell zur Wohnung und alle Waffen und Pistolen verschwanden aus meiner Reichweite. Sicher, “normal” waren wir deswegen noch lange nicht, mit knapp zwei Jahren fiel mir das allerdings noch nicht auf. Ich war gerade erst dabei die Welt auf zwei Beinen zu erobern und meine Mitmenschen mit den ersten gesprochenen Wörtern zu erfreuen und hatte bisher nur meine Geschwister und die viel zu große Familie gekannt. Kam ich mal aus der Fabrik heraus, fuhr mich meine Mutter höchstens in einem Sport-Kinderwagen durch den Park. Andere Wohnungen sah ich nur von außen und Familien nur von weitem. Das etwas mit uns nicht stimmen könnte, kam mir nie in den Sinn. Die Welt zu entdecken war ohnehin wichtiger. Die große Fabrik, mit ihren unendlich vielen Zimmern und Lagerhallen, war mein Spielplatz und der meiner Geschwister. Zwischen den Erwachsenen spielten sie Fangen, während ich nur schwerfällig hinterher stolperte. Oft genug verlor ich sie in den unübersichtlichen Gängen aus den Augen und suchte sie dann ewig, nur um schließlich von ihnen erschreckt zu werden und mich heulend zu meiner Mutter zu flüchten.
Es waren schöne Monate im Schutze einer friedlichen Zeit, für die mein Vater Jahrelang gekämpft hatte und es sicher ohne mein Wissen noch immer tat. In den zwei Jahren, die ich nun schon auf der Welt war, sah ich ihn nur selten. Nächte lang blieb er verschwunden, nur um völlig entkräftet wieder nach Hause zurück zu kehren und trotzdem. Wann immer er die Zeit fand, verbrachte er sie mit uns, so auch an diesem Morgen:
Anders als sonst, war er schon früh zu Hause, ich war noch nicht einmal wach. In der leeren Hälfte des großen Ehebettes meiner Eltern, hatte ich mich geschmuggelt und war zusammen gerollt unter der Decke meines Vaters eingeschlafen. Mama hatte davon noch nicht einmal etwas gemerkt. Wie auch? Sie hatte schon fest geschlafen. Mein Vater war diesbezüglich aufmerksamer. Als er bei Sonnenaufgang zurück kam, zog er mir prompt die warme Decke weg und sah mich von oben herab an. Verschlafen blinzelte ich zurück und erkannte ein sachtes Kopfschütteln meines Vaters. Er hatte schon immer etwas dagegen gehabt, dass ich mit im Bett schlief, immerhin hatte ich ein eigenes, aber das war Nachts so einsam. Mit einem schelmischen Grinsen erhoffte ich dem Ärger aus dem Weg zu gehen und tatsächlich, dieses Mal schimpfte er gar nicht. Stattdessen hob er mich von der Matratze in seine Arme.
“Ich hab dich schon gesucht”, ließ er mich wissen, während ich ihm nur mit einem lang gezogenen Gähnen antwortete und den Kopf, zum weiter Schlafen, auf seiner Schulter ablegte. Es war noch viel zu früh zum Aufstehen.
“Enrico?”, klang auch meine Mutter noch müde, als sie zu uns sah, “Was machst du denn schon hier?”
“Nicht so wichtig. Schlaf ruhig weiter”, kam von meinem Vater zurück, während mir die Augen schon wieder zugefallen waren. Drei Schritte lang konnte ich so verschlafen, dann setzte er mich auf dem Schreibtisch ab. Gähnend sah ich ihm dabei zu, wie er aus dem nahen Kleiderschrank ein paar Sachen für mich aussuchte.
“Wo willst du denn mit ihm hin?”, hörte ich die misstrauische Stimme meiner Mutter, dann musste ich die Arme heben, damit mein Vater mir den Schlafanzug ausziehen konnte. Noch gar nicht richtig wach, tat ich ihm den Gefallen, und bekam dafür ein blaues Hemd und kurz drauf eine schwarze Jeans angezogen. Auch die Straßenschuhe fand zielstrebig ihren Weg an meine Füße. Scheinbar wollten wir wirklich weggehen.
“In den Kindergarten”, erklärte die feste Stimme meines Vaters meiner Mutter. Schon lange hatte er davon gesprochen mich dort hin zu bringen, bisher hatte meine Mutter aber erfolgreich dagegen angekämpft und auch dieses Mal begann sie sofort zu protestieren:
“Was? Nein, es ist noch viel zu früh.” Misstrauisch sah ich von ihr zurück auf meinen Vater. Was war überhaupt ein Kindergarten?
“Ist es nicht. Er ist seit zwei Wochen dort angemeldet. Heute nehm ich ihn mit”, hielt mein Vater dagegen, während mein Blick zurück auf meine Mutter fiel. Sie würde dass doch nicht etwa zu lassen, oder?
“Nein, du nimmst mein Baby nicht mit!”, schimpfte sie und schlug die Bettdecke zurück. Stolpernd kam sie auf die Beine, bereit mich meinem Vater zu entreißen, doch er war schneller. Zurück ging es in seine Arme, dann konnte ich ihn sagen hören:
“Er ist kein Baby mehr und heute ist sein Tag”, entschied er und nahm mich mit. Einfach so und ohne meine Mutter? Das gefiel mir nicht. Ohne sie war ich noch nie gewesen. Als die Tür nach uns zuschlug, begann ich zu protestieren.
“Mammmaa!”, rief ich erst nach meiner Mutter und als sie nicht gleich hinter her kam, begann ich zu weinen. Das hatte bisher immer geholfen, aber dieses Mal reagierte mein Vater überhaupt nicht darauf. Zielstrebig lenkte er seine Schritte durch einen langen Gang vor dem Zimmer, hinein in eine große Lagerhalle und durch sie hindurch in eine noch größere Halle. Voll gestopft war diese mit Autos und Motorrädern, selbst zwei Lkws fanden hier platz. Die Garage der “Familie” bot reichlich Auswahl an Fahrzeugen, da war sicher eines dabei, mit dem er mich von hier weg bringen konnte. Verzweifelt versuchte ich mich aus seinem Griff zu drücken und immer wieder rief ich nach meiner Mutter, aber sie kam nicht. Wie konnte sie das einfach zu lassen?
“Yale, genug jetzt!”, mahnte dafür die tiefe Stimme meines Vaters. Das ich nicht mit wollte, interessierte ihn gar nicht. Durch meinen Tränenschleier hindurch sah ich nur sein ernstes Gesicht. Ich hatte es wohl zu weit getrieben, denn so hatte er mich bisher noch nie angesehen. Eindeutig, das Theater, das ich veranstaltete, gefiel ihm nicht. Mit einem letzten Schluchzer sah ich hinter uns. Von meiner Mama war nichts zu sehen, sie überließ mich ihm tatsächlich. Unschlüssig darüber, wie ich mit der Situation umgehen sollte, sah ich zurück auf meinen Vater, um an ihm zu erkennen, was zu tun war. Sein finsterer Blick hatte sich wieder aufgehellt. Das ich nicht mehr schrie und nach meiner Mutter rief, schien ihn beschwichtigt zu haben.
“Es wird dir da gefallen Yale, glaub mir”, versicherte er mir und öffnete dabei die Beifahrertür einer schwarzen Limousine. Als er mich auf dem Kindersitz absetzte und anschnallte, war ich mir da nicht so sicher wie er. Was auch immer er für einen Ort ausgesucht hatte, dort würde ich meine Mutter nicht finden und ganz allein mit meinem Vater war ich noch nie unterwegs gewesen. Konnte ich mich denn hinter ihm verstecken, wenn mir etwas Angst machte? Würde er mich in Schutz nehmen, wenn andere auf mir herum hackten? Ich wusste es nicht. Er war nie da gewesen. Wenn meine Mama wenigstens mit gekommen wäre, aber so.
Als die Tür neben mir zuschlug, und es aus dem Auto kein Entkommen mehr gab, rollten erneut kleine Tränen von meinen Wangen, bis ich sie sah.
Noch bevor mein Vater ins Auto steigen konnte, hatte meine Mutter uns eingeholt. Sie würde es doch nicht zu lassen. Ich hatte es immer gewusst. Die mutige Tigerin ließ ihr Junges nicht im Stich. Während meine Eltern sofort zu streiten anfingen, hielt ich natürlich zu meiner Mutter. Die Tränen und die Furcht waren vergessen, stattdessen freute ich mich schon darauf, dass sie mich endlich aus dem Auto befreite. Durch die dicken Scheiben konnte ich sie zwar nicht verstehen, aber sie hatte bisher immer gegen ihn gewonnen. Sicher schaffte sie das auch heute.
Erwartungsvoll sah ich sie an, bis sie endlich zu mir sah. Doch kein siegreiches Lächeln war nun auf ihren Lippen zu sehen. Mit besorgter Miene sah sie zu mir, aber tat keinen Schritt in meine Richtung. Dafür lief mein Vater um das Auto herum und stieg neben mir ein.
Fassungslos blieb mein Blick auf ihr haften. Sie hatte verloren? Aber warum?
“Erinnre mich daran, dass wir heute Nachmittag Blumen für sie kaufen”, murmelte Vater in meine Richtung.
Als wenn ich ihm auch noch helfen würde. Er konnte ruhig zu sehen wie er mit der Wut meiner Mutter allein zurecht kam. Immerhin entführte er mich gerade. Mit einem grimmigen Blick sah ich ihm dabei zu, wie er sich anschnallte und einen Schlüssel in den Schlitz am Lenkrad steckte. Wenig später setzte sich das Auto in Bewegung. Einen letzte Blick warf ich auf meine Mutter, die noch immer besorgt zurück sah und mit einem erzwungenen Lächeln mir zu winkte. Damit war ich ihm wohl endgültig ausgeliefert. Durch das offene Garagentor und über einen Kisselsteinweg kamen wir zu einem Eisentor. Von zwei jungen Männern wurde es für uns geöffnet, dann war ich mit meinem Vater schon auf der Straße, auf dem Weg in eine fremde Welt.
Misstrauisch, immer wieder den Tränen nah, sah ich zu ihm, voller Angst, vor dem was da kommen würde. Gelegentlich sah er mit einem geheimnisvollen Lächeln zu mir zurück, beinah so, als wenn er etwas zu verstecken versuchte.
“Nun schau nicht so grimmig”, begann er irgendwann sich mit mir zu unterhalten.
“Schon morgen wirst du gar nicht mehr mit nach Hause wollen”, glaubte er, während ich nur misstrauisch zurück sah. Immerhin wollte ich jetzt schon zurück und was hieß überhaupt Morgen? Wenn ich wieder zu Hause war, würde ich mich vor ihm verstecken, nichts mit noch mal los fahren. Das konnte er ohne mich tun.
Noch während ich alle guten Verstecke der Fabrik durch ging, die ich nutzen könnte, kramte er in einer Tasche seiner Jacke herum. Was er da wohl zu finden versuchte? Neugierig geworden sah ich ihm dabei zu, versuchte einen Blick auf das zu erhaschen, was aus der Tasche heraus ragte. Ein weißer Stiel und was war da dran?
“Hier, und jetzt lach wieder.“ Einen großen Lutscher reichte mein Vater mir. Eingepackt in eine schützende, bunte Folie strahlte er mich an. Der war wirklich für mich, ganz allein und ausschließlich nur für mich? Moment, versuchte er mich etwa mit Süßigkeiten zu bestechen? Einen letzter misstrauischer Blick warf ich ihm zu, dann schnappte ich mir den Lutscher. Dann war ich eben bestechlich, Hauptsache die Süßigkeit gehörte mir und keine größeren Geschwister machten sie mir streitig. Vielleicht hatte es ja doch etwas Gutes, mit dem Papa allein unterwegs zu sein?
Gierig steckte ich den runden Lutscher in den Mund, doch er schmeckte gar nicht. Verstört zog ich ihn wieder heraus. Ja, kein Wunder, die Verpackung war ja noch drum herum, die musste ab. Meine Hände aber waren dafür viel zu ungeschickt, also reichte ich ihn meinen Vater zurück. Sein Blick war auf die Straße gerichtet, also musste ich ihn am Arm anstoßen, um seine Aufmerksamkeit zu bekommen.
“Das kannst du selbst!”, war jedoch nur seine Reaktion auf mein Anliegen. Aber genau das konnte ich ja eben nicht. Noch einmal stieß ich ihn am Arm an und versuchte ihm das klar zu machen, mit dem selben Ergebnis.
“Versuchs doch erst mal!”, meinte er nur und ließ mich mit meinem Problem allein. Toll nun hatte ich was Süßes und kam nicht dran. Seufzend sah ich auf den Lutscher in meiner Hand. Wie machte Mama das immer? Irgendwie mit den Fingern, erinnerte ich mich und knauppelte mit den Fingernägeln an der Folie herum. Aber nichts tat sich. Entnervt davon streckte ich den Lutscher wieder meinem Vater entgegen. Ich hatte es versucht, jetzt sollte er.
“Du hattest es doch schon fast. Versuchs noch mal!”, ermunterte er mich nur und wieder stand ich ohne Hilfe da. Ich konnte das nicht allein. Trotzdem, ich wollte an den Lutscher rann. Also versuchte ich es einfach noch einmal. Zog und zerrte an der Folie bis endlich ein Loch darin war. Ha, so weit so gut. Meinen Erfolg präsentierte ich ganz Stolz meinen Vater, der daraufhin meinte:
“Na es wird doch. Den Rest schaffst du auch noch!”
Das sah ich genau so und fummelte noch etwas an der Folie herum, bis ich sie von dem Lutscher abziehen konnte. Endlich! Sofort verschwand der runde Lolli in meinem Mund. Strahlend sah ich zu meinem Vater auf. Ich hatte es geschafft, ich wusste wie man einen Lutscher auf bekam, jetzt konnte mich nichts mehr aufhalten.

Das dachte ich, bis wir ankamen. Noch immer war ich mit dem Lutscher beschäftigt und zufrieden mit mir und der Welt. Auch das mein Vater mich aus dem Kindersitz befreite und aus dem Auto hob, störte mich nicht. An seine Hand lief ich ohne zu zögern mit. Meine Aufmerksamkeit galt einzig und allein der Süßigkeit in meiner Hand und dem kleinen Erfolgserlebnis von eben. Erst vor einer großen Treppe hielt ich an. Er wollte doch nicht etwa da hoch? Fragend sah ich zu meinem Vater auf und zog meine Hand aus seinem Griff zurück. Die Arme nach ihm ausgestreckt verlangte ich hoch gehoben zu werde. Diese Stufen lief ich sicher nicht nach oben. Dafür waren meine Beine nicht gemacht. Er sollte mich gefälligst tragen, wenn wir schon unbedingt da rauf mussten.
“Sag mal hat dir deine Mutter den überhaupt nichts bei gebracht?” Doch sicher, wie ich sie dazu brachte Dinge für mich zu tun. Außerdem brauchte er gar nicht so finster zu schauen, er war ja nicht mal da gewesen, um mir etwas zu zeigen. Und jetzt hoch, ich lauf das nicht. Aber wie schon im Auto gab er meinem Wunsch nicht nach. Stattdessen kniete er sich zu mir hinab und meinte:
“Was machst du wenn ich dich nicht trage und hier einfach stehen lasse?” Anfangen zu Heulen?
“Na komm schon!”, fuhr er fort und nahm mich wieder an die Hand, “Wir laufen die Treppen gemeinsam.” Ja klar, er hatte leicht Reden. Wir konnten ja mal tauschen, ich bekam seine Beine und er meine.
Ohne meine Gründe verstehen zu wollen, erhob sich mein Vater wieder, betrat die erste Stufe, bereit mich einfach hinterher zu ziehen, wenn ich nicht versuchte den ersten Schritt selbst zu machen. Aber dieses Mal weigerte ich mich. Kopfschüttelnd sah ich zu ihm auf. Er konnte allein da hoch laufen.
“Na komm schon! Schau der andere Junge, schafft das auch.” Welcher andere Junge? Verwirrt sah ich zur Seite. Ein Mensch, genau so kleine wie ich, lief an der Hand einer Frau die Treppe hinauf. Einfach so, wie machte er das und wo zum Teufel kam der her? Ich hatte noch nie einen gleichaltrigen gesehen, es gab also wirklich so kleine Menschen wie mich? Ich war nicht der Einzige?
Erstaunt sah ich den Beiden zu, wie sie die Treppen bewältigten und die Frau meinen Vater mit einem freundlichen:
“Guten Morgen!”, begrüßte. Nach einem freundlichen Gruß meines Vaters zurück, wand er sich wieder mir zu:
“Na komm!” Wenn der andere das konnte, dann schaffte ich das vielleicht auch? Einen Versuch war es Wert. Ein großer Schritt und der erste Fuß stand auf der Treppe, jetzt nur noch den anderen nach ziehen. Jawohl, die erste Stufe lag hinter mir. Fröhlich sah ich auf den Boden zurück, auf dem ich zuvor gestanden hatte. Das war ja gar nicht so schwer. Auf zur nächsten. Wieder ein Bein voran, das andere hinterher und noch eine Stufe lag hinter mir. Das klappte ja schon richtig gut. Die dritte Stufe aber wollte einfach nicht gelingen. Zuvor hatte mein Vater mir geholfen, mich ein wenig am Arm gezogen, aber nun blieb er einfach stehen. Nichts mit gemeinsam Steigen.
~Schlaff nicht ein~, dacht ich mir und zog an seiner Hand. Aber er wollte einfach nicht weiter laufen, dabei hatten wir noch etliche Stufen vor uns. Verstört sah ich zu ihm auf. Ich dachte er wollte hier hoch? Als ich zu ihm auf sah, um zu verstehen warum er stehen lieb, war sein Blick gar nicht auf mich gerichtet, sondern auf den kleinen Jungen vor uns. Ein kleiner roter Drache auf dessen Arm, hatte wohl seine Aufmerksamkeit erregt. Der war hübsch, so was hätte ich auch gern. Seltsam nur, dass mein Vater ihn so böse anschauen musste. War denn was nicht mit dem Jungen oder dem Drachen in Ordnung?
Während ich mir noch meine Gedanken machte, waren die Frau und der Junge schon hinter einer Tür verschwunden und der Blick meines Vaters wanderte zurück auf mich. Seine finstere Miene hatte sich in Besorgnis gewandelt, als er mich an sah. Anstatt mich die letzten Stufen laufen zu lassen, hob er mich in seine Arme, einfach so und ohne das ich es verlangte. Was sollte das jetzt wieder? Ich wollte doch laufen und nun trug er mich die Treppe hoch. Meinen Vater verstand ich einfach nicht.
Als wir die Treppe hinter uns gelassen hatten, kam die Frau von eben zurück. Dieses mal allein, aber mit einem immer noch freundlichen Gruß:
“Auf wieder sehen!”
Dieses mal war die Stimme meines Vaters jedoch nicht mehr freundlich, als er ihr ein kurzes:
“Tschüß!”, nach warf. Was bitte war denn passier und wo war der Junge von eben? Hatte das Haus ihn gefressen? Das gefiel mir nicht, da wollte ich nicht rein. Bei dem finsteren Gesichtsausdruck meines Vaters traute ich mich allerdings nicht zu weinen. Sicher hätte sich seine Wut dann gegen mich gerichtet. So blieb ich stumm, als wir durch die Tür traten. Eine kleine Halle tat sich vor uns auf, mit einigen Bänken in der Mitte und vielen Kleiderhacken an den Wänden drum herum. Alle waren so tief das sogar ich dran gekommen wäre, um meine Jacke, hätte ich eine angehabt, hinhängen zu können. Kleine Straßenschuhe standen verteilt am Boden vor den Kleiderhacken. Alles ganz ordentlich. Der Junge von eben saß auf einer der Bänke, während eine andere Frau ihm beim Schuhe ausziehen half. Ein seltsamer Ort, entschied ich vorläufig.
“Sophie? Hast du einen Moment Zeit für mich?”, sprach mein Vater die Frau an, deren Blick sich daraufhin uns zu wand.
“Ah sieh einer an. Ich dachte du bringst ihn gar nicht mehr. Ich wollte den Platz schon an einen anderen Jungen vergeben!”, kam von ihr zurück. Einige leise Worte, richtet sie an den Jungen auf der Bank, dann kam sie zu uns.
“Das kannst du vielleicht sogar. Wer is’en der Kleine dort?” , wollte mein Vater wissen und deutete mit einem Schwenk seines Kopfes auf den Jungen, der geduldig auf der Bank wartete. Mit der fremden Frau gingen wir ein Stück zur Seite, dann begann sie zu flüstern:
“Demijen Grand!”
“Verdammt!”, kam von meinem Vater zurück. Mein Blick ging daraufhin von einem zum anderen. Was war denn so schlimm an einem Namen?
“Das ist Michael Grand Sohn?”, wollte mein Vater mit einer Mischung aus Besorgnis und Wut wissen und wieder verstand ich nur Bahnhof. War der Junge etwa nicht nett, oder warum sprachen sie so seltsam über ihn?
“Ja!”, kam als Antwort von der Frau zurück.
“Warum hast du mir nicht gesagt, dass ausgerechnet er hier her kommt?”
“Er geht erst seit gestern in meine Gruppe und ich dachte du hättest es dir vielleicht anders überlegt!”
Das Gespräch wurde mir langsam zu dumm. Ich wollte was tun. Immerhin verstand ich sowieso nicht worum es ging.
“Runter!”, bat ich meinen Vater und versuchte mich aus seinem Griff zu drücken. Er konnte ja ruhig weiter reden, aber ich wollte jetzt zu dem Jungen und schauen was mit ihm nicht stimmte. Ohne lange zu zögern kam er meinem Wunsch nach und setzte mich neben sich ab. Zu vertieft in sein Gespräch, war es ihm wohl egal, was ich in der Zwischenzeit machte.
“Dann nimm ihn eben wieder mit!”
“Das würde ich ja, aber ich kann ihn heute unmöglich mit auf Tour nehmen und bis nach Hause würde mir die Zeit fehlen…”, hörte ich hinter mir die Stimmen verhallen. Mochten sie sich nur unterhalten, ich wollte spielen. Mit unsicheren Schritten lief ich der Bank und dem Jungen entgegen. Den Lutscher im Mund kam ich bei ihm an und begutachtete ihn mit schief gelegtem Kopf.
“Hallo?”, sagte ich nach einer Weile.
Er war tatsächlich so klein wie ich. Das erstaunte mich noch immer am meisten. Der würde mich sicher nicht so ärgern wie meine viel größeren Geschwister. Von den schwarzen Haaren ging mein Blick abwärts über die dunklen Augen auf sein T-Shirt. Aus dem Maul eines Drachen schaute dort ein weißer Wolf heraus. Das war irgendwie so ganz anders als die Teddys auf meinem Hemd. Seine Eltern mussten einen wahrhaft schlechten Geschmack haben. Auch die dunkle Jeans war nicht schön. Er hatte ja gar nichts buntes an sich, bis auf den roten Drachen auf seinem Arm. So von nahem betrachtet sah der auch nicht gut aus. Neben der Zeichnung war alles ganz rot, ob das wohl weh tat?
“Drache?”, deutete ich mit ausgestrecktem Arm auf das seltsame Zeichen und erntete damit nur einen misstrauischen Blick. Die ganze Zeit über sah er schon so verschüchtert auf mich zurück. Konnte er nicht mal hallo sagen? War doch nicht so schwer. Stattdessen versteckte er nur den Drachen unter seiner Hand und zog den Arm vor mir zurück. Was glaubte er denn? Das ich ihm den weg nahm, oder drauf haute? Er war wirklich seltsam und sah richtig traurig aus. Während er den Drachen unter seiner Hand versteckte, sah er gar nicht mehr zu mir auf. Was wohl mit ihm los war? Vielleicht konnte mein Lutscher helfen? Ich hatte mich immerhin auch sehr über ihn gefreut. Kurzer Hand zog ich ihn aus dem Mund und reichte ihn in seine Richtung.
“Hier!”, ließ ich ihn wissen, dass er ihn ruhig haben durfte. Nur zögernd sah er daraufhin wieder zu mir. Wollte er denn nicht?
“Da!”, bot ich ihm noch einmal an. Es war ok, ich hatte schon genug dran herum gelutscht. Er konnte ihn ruhig haben. Nach kurzem zögern griff der Junge endlich zu und lächelte schließlich. Wust ich es doch, Süßes half immer. Mit einem freundlichen Grinsen sah ich zurück, während mein Lolli in seinem Mund verschwand. Tja, wie gewonnen so zerronnen, aber immerhin schien es ihm jetzt besser zu gehen. Während ich dem Lolli noch eine Weile nach trauerte, begann der Jung in seiner Hosentasche herum zu suchen und aus ihr zwei kleine Autos zu ziehen. Ha, Spielzeug, das hatte ich zu Hause total vergessen. Na kein Wunder, wenn einen der Vater mitten in der Nacht aus dem Bett zerrte. Mama hätte mir sicher was eingepackt. Das rote der beiden Autos gab er mir, mit dem blauen spielte er selbst. Auf dem Boden fuhr er Kreise und sah immer wieder zu mir auf. Sicher sollte ich mit machen. Na kein Problem, dass Spiel kannte ich. Kurzer Hand ließ auch ich mich auf den Boden fallen. Schnell wurde aus der Bank und dem Fußboden Straßen und die Schuhe zu Häusern, die man umfahren musste und endlich nahm mir kein älteres Kind das Auto wieder weg. Mein Vater hatte recht, so schlecht war es hier gar nicht, vielleicht wollte ich wirklich bleiben. Darüber hatte ich nur nicht zu bestimmen, denn noch immer unterhielt sich mein Vater in der Ferne mit der komischen Frau:
“Das war aber nicht seine Mutter, die ihn da gebracht hat…!”
“Nein, nur eine ihrer Haushälterinnen. Das ist mir auch ganz recht so, die Mutter ist mir zu seltsam. Schau dir allein das T-Shirt an, dass ist doch scheußlich. Fehlt nur noch das dem Drachen das Blut aus dem Maul fliest, auch zieht sie ihm nur schwarze Sachen an. Der arme Kerl wird mir draußen in der Sonne gebraten und heute hatte er auch noch ein Tattoo auf dem Arm. Ich meine welche klar denkende Mutter lässt ihren einjährigen Sohn tättoowieren? Stell dir mal vor wie der weint, wenn ein anders Kind ihn an dem Arm erwicht”
Mit verschränkten Armen sah mein Vater nachdenklich in unsere Richtung, als er ihre entgegnete:
“Eine die hofft der Sohn würde den ermordeten Vater rächen!” Sein Blick blieb lange finster an uns haften. Besonders auf meinen neu gewonnenen Freund. Erst als er zu erkennen meinte, was wir zwei trieben, wurde seine Mimik freundlicher, eben so wie seine Stimme:
“Sag mal spinne ich, oder spielen die beiden zusammen?”
Erst jetzt sah auch Sophie in unsere Richtung, beobachtete uns beim Spielen und brachte nur ein:
“Tatsächlich…”, heraus.
“Ich glaub… ich lass ihn hier”, begann mein Vater nach langer Pause wieder zu sprechen.
“Was? Bist du dir sicher?”
“Ich denke schon. Damit mach ich Sindy einen Strich durch die Rechnung. Yale ist echt ein Genie und mir und ihr Meilen voraus. Auf eine so unblutige Lösung wäre ich nie gekommen. Wenn die beiden Freunde werden, gäbe es vielleicht endlich richtigen Frieden”, hoffte er. Nun an mir sollte es nicht liegen. Demijen war nett, wenn auch ein bisschen still, ich hatte sicher keine Probleme, mich mit ihm an zu freunden.

“Yale!”, rief mich mein Vater kurz darauf zu sich zurück. Nur schwerlich konnte ich mich von dem Spiel losreisen. Noch einmal musste er nach mir rufen, bis ich reagierte. Schnell tapste ich dann aber zu ihm zurück, wollte ihm erzählen was gerade so viel tolles passiert war, doch sein seltsame Blick hielt mich davon ab. Schon wieder sah er so geheimnisvoll drein. Gab es jetzt wieder was Süßes? Als er sich zu mir herab kniete, schwante mir jedoch nichts Gutes:
“Sei schön brav und lieb zu Tante Sophie. Ich komm dich heute Nachmittag wieder abholen.” Abholen? Was sollte das jetzt auf einmal? Wollte er etwa weg, und mich hier allein lassen? Misstrauisch sah ich ihm zu, wie er wieder aufstand, sich von der seltsamen Tante verabschiedetet und die Tür ansteuerte. Er glaubte doch nicht etwa jetzt einfach so gehen zu können, oder?
“Papaaa!”, rief ich ihm drohend nach. Er sollte nur durch diese Tür verschwinden, dann würde ich das Haus zusammen schreien.
“Ich komm bald wieder”, waren seine letzten Worte, dann fiel die Tür nach ihm zu. Ja, das bald kannte ich, das dauerte Tage. Mit einem grimmigen Schmollmund sah ich ihm nach. Das konnte er doch jetzt nicht bringen. Ich kam nie bis zur Klinke, um ihm nach zu eilen. Er durfte nicht einfach so gehen. Aus dem Schmollmund machte ich ein trauriges Gesicht. Warum ließ er mich hier allein zurück? Es dauerte nicht lange und ich brach in Tränen aus. Ich wollte mit.
Auf der selben Stelle, an der er mich einfach hatte stehen lassen, begann ich zu Schluchzen, zu Schrein, nach ihm zu rufen, aber er kam nicht wieder. Auch die blöde Tante half nicht mich zu beruhigen. Stattdessen tauchte vor mir Demijen auf, und reichte mir den fast aufgelutschten Lolli. Schniefend nahm ich ihn entgegen. Wenigstens einer der mich verstand.
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