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 3. Kapitel ~Ein Tag am Strand ~

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Enrico
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BeitragThema: 3. Kapitel ~Ein Tag am Strand ~   3. Kapitel ~Ein Tag am Strand ~ EmptyFr Jun 15, 2012 6:06 pm

3. Kapitel
~Ein Tag am Strand~

Nach einer heißen Dusche fühle ich mich gleich viel besser, mit einem Handtuch um die Hüfte gebunden laufe ich aus dem Bad die Treppe hinunter. Als ich das Wohnzimmer erreiche, wundere ich mich darüber, dass der Boden wieder sauber ist. Susen hat es wohl zu lange gedauert, bis ich aus der Dusche zurückkomme, sie hat die Sache selbst in die Hand genommen. Um so besser, so habe ich genug Zeit, mich um mich um das Picknick zu kümmern. Den Stimmen nach zu urteilen sitzen Susen und Raphael immer noch in der Küche, ich laufe zu ihnen und finde sie genau so sitzend wieder, wie ich sie bei meiner Ankunft vorgefunden habe.
"Darf ich euren Kühlschrank plündern?", frage ich frei heraus und ziehe damit Susens grimmigen Blick auf mich, während Raphaels Mimik hinter seiner Tageszeitung verborgen bleibt.
"Hast du kein eigenes zu Hause?", will Susen von mir wissen. Scheinbar ist sie mit meinem Vorhaben nicht einverstanden, aber ich habe keine Lust und auch keine Zeit mich mit ihr deswegen zu streiten, also ziehe ich gleich meinen Trumpf:
"Jetzt hab dich mal nicht so! Wer bezahlt denn bitte die Lebensmittel in eurem Haus!" Seit ich aus Italien wieder da bin, bin ich es, der das Geld für die Familie verdient und dazu gehört auch Raphael, er arbeitet für mich und den Clan als Kfz-Mechaniker, das ist ihr beider Standbein, seit Susens Praxis immer schlechter läuft, was sicher auch an ihrem großen Herz liegt. Die meisten ihrer Patienten sind zu arm, um sie zu bezahlen. 
"Und wer flickt dich immer zusammen, wenn du angeschossen wirst?", kontert Susen. Jetzt bin ich Schach matt, darauf fällt mir nichts mehr ein. Ich rolle mit den Augen und sehe zu meinem Bruder, von dem ich mir mehr Zuspruch erhoffe:
"Raph?" Ich habe immer seinen Kühlschrank plündern dürfen, wo ist da jetzt auf einmal das Problem?
"Lass die Heuschrecke doch, ich muss morgen sowieso einkaufen fahren!", entgegnet er, ohne seine Zeitung beiseitezulegen. Ich grinst über beide Ohren, am Ende habe ich doch noch gewonnen.
"Raphael!", knurrt Susen, während ich mich fröhlich ans Werk mache. Ich öffne den Kühlschrank und sehe mir den Inhalt an.
"Was denn? Der Zug ist eh abgefahren!", entgegnet Raphael seiner Frau und faltet die Zeitung zusammen, "Er wohnt doch quasi schon bei uns! Den werden wir nicht mehr los!" Wie recht er doch hat, ich bin tatsächlich jeden zweiten Tag bei Susen und Raphael zu Besuch, meistens dann, wenn ich einen Platz zum Schlafen brauche, ich habe sogar mein eigenes Zimmer hier. Die Villa der Beiden ist der einzige Ort, an dem ich mich sicher fühle und ganz nebenbei auch ärztliche Hilfe finde, die ich mindestens einmal die Woche in Anspruch nehmen muss. 
Susen schweigt und knirscht mit den Zähnen. Es ist längst zu spät etwas an den alten Gewohnheiten zu ändern, die ich nach meiner Rückkehr aus Italien, ganz selbstverständlich wieder eingeführt habe. Bisher hat sie auch nichts dagegen gehabt und besonders Raphael sehe ich an, dass er die Zeit nach der langen Trennung genießt, die wir hier Abends zusammen verbringen, auch wenn ich meistens schon nach der ersten halben Stunde in seinem Haus, auf der Couch einschlafe. 
"Enrico, wer hat die denn genäht? Trägt irgendwie Anettes Handschrift! Sieht übel aus! Warum hast du den Verband abgemacht, das entzündet sich noch?", knurrt Susen besorgt. Ich sehe zur Seite und betrachte die säuberlich genähte Wunde auf meinem Oberarm. Anette hat doch gute Arbeit geleistet. Was hat Susen denn nur? Sie ist lediglich etwas angeschwollen und rot. 
"Deine Verletzung am Bein sieht auch nicht besser aus. Warum flicke ich dich zusammen, wenn du dich dann nicht darum kümmerst?" Ich gleite mit meinem Blick an mir hinab, über meinen linken Oberschenkel zieht sich eine weitere genähte Wunde. Vor zwei Woche hat mich dort ein Messer erwischt, der Typ der dafür eine Kugel in den Kopf von Toni gefangen hat, hat eine wichtige Arterie verletzt. Ich bin fast daran verblutet, bis wir endlich in der Villa ankamen. Das ist auch der Grund für die Blutflecken auf der weißen Couch gewesen. Vielleicht wäre es sinnvoller, sie hätten sich eine rote Couch zugelegt, anstatt wieder einer weißen, es wird sicher nicht das letzte Mal sein, dass ich blutüberströmt bei ihnen vor der Tür stehe. Auf Susens Frage hin ziehe ich bloß die Schultern hoch und schiele um die Tür des Kühlschranks herum. 
"Die Verbände haben mich gestört!", entgegnete ich ihr.
"Raphael, hau ihn!", brummt Susen angriffslustig. Ich werfe einen kurzen Blick auf meinen Bruder, um herauszufinden, ob er der Aufforderung nachkommt, er rührt sich kein Stück in seinem Stuhl, stattdessen betrachtet er die genähte Wunde an meinem Oberschenkel und die an meinem Oberarm. Sie schmerzen nicht mehr, wenn ich mich bewege, sie sind also okay.
"Mit ner Spritze gegen die Entzündung, strafen wir ihn mehr!", ist seine Antwort. Ich reiße die Augen weit auf und sehe von ihm zu Susen. Ist das ihr ernst? Sie wissen von meiner panischen Angst vor Nadeln und genau das, ist das Problem. Ich muss hier weg, so lange ich noch kann.
"Gute Idee!! Fängst du ihn ein?", meint Susen und sieht mich damit herausfordernd an. Ich sehe von ihr zu Raphael. 
"Mit dem größten Vergnügen!", lacht er voller Vorfreude. Als er sich erhebt, zögere ich nicht länger, ich ergreife die Flucht,  im Kopf überschlage ich sämtliche Fluchtwege, der erste, der mir einfällt, führt durch das Wohnzimmer, vorbei an der neuen Couch, zur gläsernen Schiebetür und hinaus ins Meer. Ich folge meinem Plan und höre meinen Bruder dicht hinter mir. Normalerweise bin ich schneller als er, aber das nütze mir im engen Wohnzimmer nicht viel, immerhin musste ich die Möbel umlaufen und die Schiebetür öffnen. Dieser Fluchtweg ist vielleicht doch nicht der Beste gewesen. Als ich die Verandatür erreiche und sie öffnen will, hat Raphael mich eingeholt. Er nimmt mich  in den Schwitzkasten und zieht mich von der Tür weg. Ich strampele und versuche mich gegen seinen Griff zu wehren, doch aus dem bin ich noch nie entkommen, ich habe schon jetzt verloren, was mich aber nicht daran hindert, mich mit Leibeskräften gegen ihn zur Wehr zu setzen. 
"Lass los, verdammt! Ich will nicht! Mir geht es gut! Ich brauche keine Spritze!", schreie ich ihn an, während ich auf seine muskulösen Unterarme einschlage. Es hilft nichts, er zerrt mich zur Couch zurück, mein Handtuch verliere ich dabei irgendwo auf dem Weg.
"Jetzt stell dich nicht so an! Wenn Susen deine Wunden näht, jammerst du auch nicht so rum!", hält er mir vor, während er mich auf die Couch hievt und dort fixiert.
"Da bin ich entweder ohnmächtig oder besaufe mich vorher!", kontere ich. 
"Also soll ich dir vorher einen Scotch machen?", will er von mir wissen. Ich sehe meinen großen Bruder verwirrt an. Ist das sein ernst? Sonst teilt er nur zu besonderen Anlässen seinen teuren Scotch mit mir. Ich höre auf mich zu wehren, die Verlockung des Getränks ist größer, als meine Furcht vor Nadeln.
"Das wäre ein Deal!"
"Tut mir leid, ich hab das letzte Glas gestern getrunken!", meint er locker und grinst mich dabei breit an, dieser gemeine Kerl, ich habe mich schon auf seinen Scotch gefreut. Während ich ihn grimmig ansehe, sehe ich Susen im Augenwinkel mit einem Verbandskoffer zu uns kommen.
"Jetzt halt still!", fordert sie mich auf. Sie sucht aus dem Koffer eine Flasche mit Desinfektionsmittel heraus und zwei Mullbinden. Ich atmet erleichtert durch, wenigstens hat sie keine Spritze dabei. 
Susen nimmt ein Tuch aus dem Koffer und tränkte es mit dem Desinfektionsmittel, sie beginnt die Wunden zu säubern, erst die am Oberarm, dann die an meinem Oberschenkel. Ich ziehe die Luft scharf zwischen den zusammengebissenen Zähnen ein. Obwohl zumindest die Verletzung an meinem Bein schon zwei Wochen alt ist, brennt sie dennoch wie die Hölle. Ich schließe die Augen und konzentriere mich darauf, den Schmerz zu unterdrücken. So lange Susen die Wunden säubert, halte ich die Luft an, erst als sie fertig ist und die Verbände anlegt, sehe ich sie wieder an und atme aus.
"So, mit dir ist also alles in Ordnung, ja?", meint sie herausfordernd. Ich atme tief durch und bleibe stumm, mir fällt sowieso kein Gegenargument ein, ich weiß selbst, dass ich mich besser um meine Verletzungen kümmern muss.
"Morgen ziehen wir die Fäden am Oberschenkel!", erklärt sie mir noch, dann packt sie die Sachen zurück in den Koffer und erhebt sich wieder. 
"Geht klar!", gebe ich mich geschlagen, es hat sowieso keinen Sinn zu protestieren, wenn es um meine Gesundheit geht, verstehen weder Raphael noch Susen Spaß. Während Susen zufrieden lächelt und schließlich verschwindet, um den Koffer in ihre Praxis zurück zu bringen, fällt mir wieder ein, das Judy in nicht mal mehr zwei Stunden hier sein wird. Ich habe mich noch nicht einmal angezogen, geschweige denn etwas vorbereitet.
"Darf ich jetzt aufstehen? Judy ist gleich hier und ich will mit ihr und den Kindern ein Picknick am Strand machen!", erkläre ich meinem Bruder, der noch immer über mir steht, sein Blick wird fragend und verwirrt zugleich.
"Ist das dein ernst?", will er von mir wissen.
"Ja, wird doch auch Zeit, dass ich mich mal um sie und die Kinder kümmere, oder?"
"Ja, schon, aber warum jetzt?" Gute Frage, darauf weiß ich keine Antwort, außer die eine: 
"Toni hat es mir nahegelegt!"
"Ach und auf ihn hörst du?" Was für eine Frage, sicher tue ich das. Ich brauche Raphael kein Antwort geben, er liest sie mir vom Gesicht ab.
"Na dann, hau ab!", sagt er und lässt mich aufstehen. 
"Wenn du was brauchst, sag mir Bescheid!", fügt er an.
“Das werde ich tun, aber erst einmal muss ich mir etwas überziehen, ich fühle mich schon wieder so nackt.“

Ich ziehe mich in mein Zimmer zurück und plündere meinen Kleiderschrank. Alles was in frage kommt werfe ich verteilt auf das große Ehebett. Was soll ich anziehen, um Judy zu gefallen? Ich schließe die Schranktür, in der ein Spiegel eingelassen ist. Noch habe ich mir nichts angezogen, lediglich die Verbände an meinem Arm und an meinem Bein, bedecken meine Verletzungen. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich mich in letzter Zeit mal ohne einen gesehen habe. Über meinen Oberkörper zieht sich eine lange Narbe, der Rest meines Körpers ist mit vielen kleineren übersät, die Spuren meines Lebens als Killer. Es ist egal was ich mir über ziehe, die Narben werden mich trotzdem entstellen. Ich hasse es mich so zu sehen, jede Verletzung ruft Erinnerungen in mir wach, besonders diese große Narbe auf meinem Oberkörper, die Toni mir zugefügt hat. Ich schlage mit der Faust gegen mein Spiegelbild und dränge die Erinnerung zurück, die in mir aufkeimen will, ich will Tonis kalten Blick nicht sehen. Ich schüttele die Bilder aus meinen Gedanken und wende mich den Wäscheberg auf meinem Bett zu. Ich wähle, ohne lange zu überlegen, ein kurzärmliges schwarzes Shirt und ziehe es mir über. Die Narben verschwinden unter dem glatten Stoff und mit ihnen verdränge ich auch die schrecklichen Bilder. 
Ich werfe einen prüfenden Blick in den Spiegel, die Farbe lässt mich noch dünner erscheinen, als ich ohnehin schon bin, nur die Muskeln meiner Oberarme füllen die Ärmel aus. Ich seufze ergeben und muss mir eingestehen, dass die Sorge meiner Familie und Freunde berechtigt ist, ich muss mich endlich um mich kümmern und wieder regelmäßig essen. Vielleicht ist das Picknick mit meiner Familie, ja der erste Schritt in die richtige Richtung. 

Zum schwarzen Shirt wähle ich eine dunkelblaue Jeans. Genau das selbe habe ich in meiner ersten Nacht mit Judy hier getragen, es erscheint mir passend, sie damit an diesen Tag zu erinnern. Noch einmal sehe ich in den Spiegel. Die Hose ist mir inzwischen zu großen. Ich muss einen Gürtel hinein ziehen, damit sie mir nicht von den Hüften rutscht. Ein Seufzer überkommt mich, als ich die Schnalle schließe, es muss sich dringend etwas an meinem Umgang mit mir selbst ändern. 

Fertig angezogen, überlege ich mir, wie ich das Picknick herrichten muss, damit es meiner Frau die Sprache verschlägt. Ich erinnere mich an die Gartenfackeln, die Raphael noch in seiner Garage liegen hat und über die ich gestolpert bin. Wenn ich das richtig gesehen habe, sind es noch genau vier Stück. Ich kann sie  in einem Viereck in den Sand stemmen und anzünde, dann ergeben sie sicher einen schönen Rahmen für das Picknicktuch. Mein Blick fällt auf die Armbanduhr an meinem Handgelenk, mir bleibt nur noch eine Stunde für die Vorbereitungen. Ich werde Susens und Raphaels Hilfe brauchen, wenn ich das alles noch rechtzeitig schaffen will. Ob ich sie dazu überreden kann, für mich die Lebensmittel und Getränke vorzubereiten, damit ich die Zeit habe, den Strand zu gestalten? Raphael hat mir seine Hilfe immerhin angeboten. Ich gebe mir einen Ruck und verlasse mein Zimmer, mit schnellen Schritten folge ich dem langen Flur bis ins Wohnzimmer. Ich sehe Susen und Raphael vor dem Fernseher auf der Couch sitzen, sie wenden ihre Blicke mir zu, als sie mich kommen hören. 
"Raphael, könnt ihr für mich einen Picknickkorb packen? Ich will am Strand noch etwas vorbereiten und Judy wird schon in einer Stunde hier sein. Ich schaff das nicht alleine!", bitte ich meinen Bruder. 
"Judy und die Kinder kommen her? Wirst du krank?", will Susen überrascht wissen. Ich gebe ihr keine Antwort auf ihre Frage, ich will mich nicht über meine schlechten Angewohnheiten unterhalten, ich weiß selbst gut genug, was ich alles falsch mache. Jetzt brauche ich einfach ihre Hilfe, um wenigstens ein Mal etwas richtig zu machen.
"Bitte!", wende ich mich nun direkt an Susen, "Ich will meiner Frau eine Freude machen. Sie ist doch deine Schwester und du weißt, wie schwer sie es mit mir hat. Bitte hilf mir!"
"Ja, das hat sie allerdings!", gibt Susen mir zurück und wendet ihren Blick von mir ab. 
"Also helft ihr mir?", harke ich noch einmal nach.
"Ja, verschwinde schon und bereit alles vor, wir kümmern uns um das Essen!", erklärt sich Raphael bereit. Er zaubert mir damit ein Lächeln ins Gesicht. Ich habe echt Glück, mit so einer Familie gesegnet zu sein, egal wie schlecht ich mich manchmal auch verhalte, sie halten trotzdem zu mir. 
Ich laufe zur Couch und schlinge meine Arme um den Hals meines Bruders. 
"Danke! Danke, Bruderherz", lasse ich ihn wissen und drückte ihn fest an mich. 
"Schon gut, nun hau schon ab, sonst steht Judy vor der Tür und du hast immer noch nichts vorbereitet." 
"Okay! Danke, ihr seit die Besten!" Voller Tatendrang laufe ich zur Garagentür und öffne sie. Hoffentlich brennen die Fackeln noch. Ich suche alle vier zusammen und trage sie hinaus an den Strand, um meine Idee in die Tat umzusetzen.

Nach einer dreiviertel Stunde habe ich alles aufgebaut, ich habe meine zurückgelassenen Hose in die Villa gebracht und in Susens Wäschekorb geworfen. Die vier Fackeln stehen bereits fest verankert im warmen Sand. Von Susen habe ich mir ein großes, weißes Tischtuch mit rotem Strichmuster ausgeborgt. Den Sand habe ich zu einem Podest aufgehäuft und darüber das Tischtuch ausgebreitet. Eine von Susens besten Vasen steht in der Mitte, sie ist weiß und mit rosaroten Blüten verziert. Aus dem Garten hinter der Villa, habe ich mir einige rote Rosen geschnitten und sie in der Vase angerichtet. In Raphaels Garage habe ich das alte Sandspielzeug meiner Kinder gefunden, dass er mal für sie gekauft hat. Zwei gelbe Eimer, drei rote und eine blaue Schaufel und etliche Sandförmchen, ich habe sie in den Sand neben den Fackeln gelegt und sehe meine Kinder bereits eine Sandburg bauen, so wie sie es früher immer getan haben. Die Erinnerung daran treibt mir ein Lächeln ins Gesicht. Ich habe für sie ein tiefes Loch graben müssen, bis wir auf Grundwasser gestoßen sind, dass ist dann unser Burggraben gewesen. Hoffentlich können wir heute wieder genau so viel Spaß haben. Mein Blick geht noch einmal über das Tischtuch. Besteck, Teller und Tassen habe ich ebenfalls schon bereit gestellt und im seichten Wasser steht ein ganzer Kasten mit kalter Limonade und Wasser.

Ich gehe einen Schritt zurück, um mein Werk zu betrachten. Jetzt fehlt eigentlich nur noch das Essen. Ich bin gespannt, was Raphael und Susen gezaubert haben. Für ihre Kochkünste sind beide berühmt, mit ihren Spezialitäten kann eigentlich nichts mehr schief gehen. 
Ich sehe noch einmal auf die Uhr, zehn  Minuten habe ich noch, vielleicht kann ich den Beiden ja noch zur Hand gehen. 
Ich krame in meiner Hosentasche nach dem Feuerzeug, dass ich mitgenommen habe und zünde die vier Fackeln an. Als die Letzte brennt, sehe ich Raphael und Susen zu mir kommen. Susen trägt einen Korb unter dem Arm, der bei ihren Schritten leicht hin und her schwenkt. Sie und Raphael machen große Augen, als sie sehen, was ich vorbereitet habe.
"Das ist ja richtig schick geworden!", ruft Susen mir zu, noch bevor sie mich erreichen. 
"Danke!", rufe ich etwas verlegen zurück.
"Was hast du ausgefressen, dass du Judy mit so was bestechen musst?", will Raphael von mir wissen. Ich sehe unter seinen mahnenden Blick hinweg, als wenn er nicht ganz genau weiß, was ich hier mit Toni getrieben habe und das ist nur die Spitze des Eisberges. 

Susen bleibt direkt vor mir stehen, sie reicht mir den Korb mit den Lebensmitteln, ich greife nach ihm, doch ohne eine letzte Predigt, will sie ihn mir nicht überlassen:
"Sei nett zu ihr und versaue es nicht wieder. Sie hat was besseres verdient, als dich und deine ganzen Affären." Ich sehe schuldbewusst zu Boden, ist es doch nicht nur Toni, mit dem ich meiner Frau betrüge, wenn sich mir die Gelegenheit bietet, verschwinde ich auch schon mal mit einer anderen Frau im Bett. Erst als ich nicke, überlässt mir Susen den Korb, dann macht sie mit Raphael kehrt und trottet mit ihm gemächlich zur Villa zurück. Während sie gehen, kann ich sie noch miteinander sprechen hören.
"Du könntest auch mal wieder was romantisches für mich machen!", beschwert sich Susen bei ihrem Mann.
"Das ich für dich koche und dir im Haushalt helfe reicht dir wohl nicht, was?", entgegnet er ihr genervt. 
"Wenn ich ehrlich sein soll, nein, reicht mir nicht!" Nach einigen Metern verlieren sich ihre Worte im Wind und zwischen dem Rauchen der Wellen. Ich schüttele über sie nur mit dem Kopf und mache mir keine weiteren Gedanken darüber, das ist ihre Baustelle, ich habe genug mit meiner eigenen zu tun. 

Den geflochtenen Korb stelle ich auf dem Tischtuch ab und werfe einen Blick hinein. In einem kleineren Körbchen liegt Obst in allen Sorten, Melone, Äpfel, Bananen, Weintrauben, Erdbeeren, Kirschen und eine große Ananas. Ich stelle das Körbchen in die Mitte direkt neben die Vase und sehe zurück in den Korb. Drei Teller sind übereinander gestapelt und mit Alufolie abgedeckt. Was sich wohl darunter befindet? Ich hebe den ersten heraus und ziehe die Alufolie ab, zum Vorschein kommen einige dutzende Sandwichs mit unterschiedlichen Belägen, Salami mit Käse, Erdnussbutter, Marmelade, Salat mit Putenwurst und etliches mehr, das ich nicht auf den ersten Blick zuordnen kann, alles sieht sehr appetitlich aus. Ich nehme mir ein Sandwich mit Käse und Salami und stecke es mir in den Mund, während ich den Teller auf einem freien Platz auf dem Tischtuch stelle. Mit drei großen Bissen stille ich meinen Hunger, das Sandwich das ich im Kühlschrank gefunden habe, ist längst nicht genug gewesen.
Schließlich sehe ich mir den zweiten Teller an, Raphael und Susen haben Gurken, Tomaten, Mozzarella geschnitten und mit Basilikum dekoriert. Ich stelle ihn zu dem ersten Teller und sehe unter der letzten Alufolie nach. Noch einmal sind allerhand Sandwichs übereinander gestapelt. Ich platziere den letzten Teller auf dem Tischtuch und rücke ihn zurecht. 

"Papa!"
"Papa!", höre ich zwei kindliche Stimmen, die mich zusammen zucken lassen. Ich sehe über die Schulter zurück und erkenne Amy und Rene, die auf mich zu gerannt kommen. Amy trägt ein kurzes Kleid mit dünnen Trägern und einer Erdbeere unten rechts am Saum, sie hat einen großen weiten Hut auf, der aus weißen geflochtenen Palmblättern besteht und mit einem roten Band und einer Schleife verziert ist. Sie muss ihn beim Laufen mit einer Hand festhalten, damit er nicht vom Wind davon geweht wird. Ihr kleinen Füße sind in zwei rote Sandalen geschnürt, die sie leichtfüßig über den Sand tragen. 
Mein Sohn ist nur mit einer blauen Badehose bekleidet, sein braungebrannter Oberkörper ist frei, er trägt eine kleine Narbe über dem rechten Oberarm und eine große über der linken Hüfte, die nur zur Hälfte zu sehen ist. Auf seiner rechten Wange klebte ein Pflaster, das er an dem Morgen, an dem er mich geweckt hat, noch nicht getragen hat. In der rechten Hand hält er eine Wasserpistolen, die Judy ihm scheinbar zum Spielen mitgegeben hat. Obwohl es nur ein Spielzeug ist, hält er sie erschreckend geschickt und beinah, wie eine echte Waffen. Eine zweite Pistole steckt auf seinem Rücken im Hosenbund, ganz ähnlich, wie Toni sie trägt. An den Füßen hat er Schlappen, die ihm um eine Nummer zu groß sind, auf halber Strecke verliert er sie im Sand und läuft barfuss weiter. 
Während ich ihn so laufen sehe, erinnerte er mich in erschreckender Weiße an mich selbst, auch er hat schon etliche Gefechte hinter sich und ist der selbsternannte Beschützer seiner Zwillingsschwester, dabei ist er gerade erst acht Jahre alt. Kein Kind sollte erleben müssen, was er schon durchgemacht hat. Tonis Worte holen mich wieder ein, nicht nur wir haben mit unserem Erlebnissen zu kämpfen, auch unsere Kinder sind betroffen. Rene ist mir für sein Alter schon viel zu erwachsen, seit ich wieder da bin, habe ich ihn nie ausgelassen spielen sehen, er hilft Judy im Haushalt und ist neben mir, einer ihrer ersten Ansprechpartner, wenn es um wichtige Dinge geht. Ich frage mich ernsthaft, ob er in meiner Abwesenheit jemals Kind sein konnte, oder ob er nicht viel mehr meinen Platz einnehmen musste.

Meine Vermutung bestätigt sich, als mich die beiden Kinder erreichten, ich breite meine Arme aus und gehe in die Hocke, um sie zu empfangen.
"Hallo ihr zwei!", begrüße ich sie, doch ist es nur Amy, die sich in meine Umarmung fallen und sich von mir drücken lässt. Rene hingegen bleibt einen Schritt von mir entfernt stehen und legt sich die Pistole über die Schulter, er warte ab, ohne ein Wort zum Gruß zu sagen, seine Haltung erinnert mich auf seltsame Art und Weiße an die von Toni, aber ich kann mir nicht erklären warum.
"Was ist mit dir? Willst du mir nicht hallo sagen?", stelle ich meinen Sohn zur Rede. Er sieht nur trotzig zurück, während er meint:
"Du bist wieder abgehauen!" Dann wandert sein Blick über die Dinge, die ich vorbereitet habe, er bleibt an dem Sandspielzeug hängen. Seine linke Augenbrauen zieht er fragend in die Höhe, bevor er mich wieder ansieht.
"Wieso hast du das raus geholt? Wir sind acht und keine Kinder mehr!"
Mir verschlägt es für den Moment die Sprache. Ich entlasse Amy aus meiner Umarmung und sehe Rene fassungslos an. Hatte er recht? Sind er und Amy inzwischen zu alt für Sandspielzeug? Mein Blick fällt auf die Wasserpistole in Renes Hand. Was ist damit, ist er dafür dann nicht auch zu alt?
"Aber die Wasserpistolen sind okay?", frage ich ihn herausfordernd. Ohne zu zögern folgt seine Antwort:
"Damit will ich doch nur Zielen üben!" Seine Worte spricht er so ernst und überzeugend aus, dass ich ihm glaube, dass er sie tatsächlich nicht aus Spaß mitgenommen hat. Ich schüttele innerlich mit dem Kopf darüber. Wann ist dieser Junge nur so gegen jegliche Freude abgestumpft? Er ist doch noch ein Kind, er braucht nicht Zielen üben, in seine Hände gehört keine Waffe, so langsam dämmert mir aber, dass er längst kein unbeschriebenes Blatt mehr ist. Ich erinnere mich an einen Streit mit Judy darüber, dass unsere Kinder keine Pistolen in die Hände bekommen sollen, dass ich sie Notfall verteidigen will, doch je länger ich Rene betrachte, umso mehr wird mir klar, dass er schon lange nicht mehr so unschuldig ist, wie ich es mir einzureden versuche, die Zeiten der Sandburgen liegen tatsächlich hinter ihm. Wehmütig sehe ich in die eisblauen Augen meines Sohnes. Wie um alles in der Welt, bringe ich dieses Kind dazu, mit mir zu spielen? 
Mein Blick streift die Wasserpistole in seinem Hosenbund., eine Idee nimmt in meinem Kopf Gestalt an.
"Zielen üben, ja? Und wie sieht es mit weglaufen aus?", entgegne ich ihm herausfordernd. Schneller als mir sein Blick folgen kann, greife ich hinter seinem Rücken nach der Wasserpistole und ziehe sie aus seinem Hosenbund. Es beruhigt mich ein wenig, dass er es nicht verhindern kann, er hat eben doch noch einiges zu lernen.
Der Tank der Pistole ist noch voll, das Wasser macht sie schwerer, als sie auf den ersten Blick erscheint.
"Hey! Gib die wieder her, die gehört mir!", protestiert Rene, doch ich denke nicht daran, seinem Wunsch nachzukommen, stattdessen richte ich die Pistole auf ihn und drücke ab. Ein langer, kalter Wasserstrahl bricht sich auf seinem nackten Oberkörper, er windet sich erschrocken und zieht die Arme schützend vor sich zusammen. 
"Nein, nicht! Das ist kalt! Papa ich warne dich, ich schieße zurück", knurrt er während er mit aller Kraft ein Lachen zurück drängt. Seine Drohung kann ich nur belächeln, soll er doch, wenn er glaubt, dass ich so einfach zu treffen bin.
"Mach doch, wenn du dich traust!", fordere ich ihn heraus. Ich richte den Wasserstrahl auf seinen Kopf und spritze seine strubbeligen, blonden Haare nass. 
"Ihhh!", quietscht er und ergriff endlich die Flucht. Ich nehme die Verfolgung auf, im Kreis jage ich meinen Sohn um die Gartenfackeln herum, während ich nun seinen Rücken unter Beschuss nehme. Rene lacht vergnügt und sieht immer wieder über die Schulter zu mir zurück. 
"Nimm das!", ruft er dabei und richtet nun seinerseits die Wasserpistole auf mich. Obwohl er vor mir davonläuft, ist seine Treffsicherheit erstaunlich. Mit dem ersten Schuss durchnässt er mein schwarze Shirt in Höhe des Herzens, sein zweiter geht auf meine rechten Oberschenkel und mit dem Dritten trifft er mich mitten im Gesicht. Mir wird schlagartig bewusst, wer ihn in meiner Abwesenheit unter seine Fittiche genommen haben muss. Seine Art zu schießen und seine Körpersprache, trägt eindeutig Tonis Handschrift. Wir haben zwar nie darüber gesprochen, aber wer sonst hat meinem Sohn so zu schießen gelernt? Meine Gedanken verdunkeln sich, es muss zwar sein, dass sich die Kinder selbst schützen können, aber ich kann und will mir Rene nicht mit einer Pistole in der Hand vorstellen. Ich habe es Judy verboten, die Kinder damit auszustatten, wenn sie unterwegs sind, eine Woche später hat Michael Rene, Amy und Tonis Tochter Kira entführen lassen. Ich frage mich, ob das auch passiert wäre, wenn ich ihnen das Tragen von Waffen erlaubt hätte. 
"Papa, ich will auch!", reist mich Amys zierliche Stimme aus meinen finsteren Gedanken. Sie läuft leichtfüßig neben mir her und streckt die Hände nach der Wasserpistole aus. Ihren braunen Teddybäraugen kann ich keine Bitte abschlagen, ich gebe ihr die Pistole und lasse sie die Verfolgung von Rene übernehmen, während ich selbst stehen bleibe. Mit einem breiten Lächeln im Gesicht, sehe ich ihr dabei zu, wie sie ihren Zwillingsbruder über den Strand jagt und dabei ihren Hut verliert, er landete von ihr unbeachtet im Sand, während sie weiter auf ihren Bruder zielt, dabei legt sie die selbe Treffsicherheit an den Tag, wie Rene. Ob Toni auch sie unterrichtet hat, oder ist es Rene gewesen, der seiner Schwester das Wissen weitergegeben hat?
"Nicht auf mich, auf Papa!", höre ich Rene sagen. Als beide ihre Pistolen im Meer auffüllen und anschließend gemeinsam zu mir zurück gelaufen kommen, verschwinden die erschreckende Bild meiner Kinder, mit echten Pistolen in den Händen, aus meinem Kopf. Vielleicht bilde ich mir das alles ja nur ein und sie haben einfach nur zu viel Räuber und Gendarm gespielt. Im Moment sind sie zwei normale Kinder, die Spaß daran haben, ihren Vater von oben bis unten nass zu spritzen. Ich ergriff nun meinerseits die Flucht vor ihnen, als sie gleich zu zweit das Feuer auf mich eröffnen. Ich spüre, wie sich mein Shirt am Rücken mit Wasser vollsaugt, meine Haar kleben mir bereits in Strähnen im Gesicht, kleine Wasserperlen rollen mir über die Wangen und im Nackten hinab, meine Jeans ist ihr nächstes Ziel. Ihre Treffsicherheit kennt keine Gnade, das kann einfach kein Zufall sein. Sie tränken meine Hose mit Salzwasser, bis sie mir, wie eine zweite Haut an den Schenkeln klebt, dann  hören ihre Attacken von einem Moment auf den anderen auf. Ich sehe über die Schulter zurück zu ihnen. Was ist los, ist ihnen die Munition ausgegangen? Sie sind neben dem Picknicktisch stehen geblieben und haben die Pistolen gesenkt, ihre Blicke gelten nicht mehr mir, sondert etwas, das sich vor mir befinden muss. Augenblicklich sehe ich wieder nach vorn und kann mich gerade noch im Lauf stoppen, als ich eine Person, direkt vor mir. ausmachen kann. Eine junge Frau versperrt mir den Fluchtweg, ihre langen schwarzen Haare wehen im Wind und reichen ihr bis zu den Hüften. Sie trägt ein dünnes weißes Sommerkleid, mit schmalen Trägern, sein Schnitt gleicht dem Kleid von Amy, nur das auf ihm keine Erdbeere zu finden ist. Auf dem Kopf hält sie, mit der rechten Hand, einen weißen Strohhut fest, der schlicht mit einem schwarzen Band verziert ist. Ich erhasche einen Blick in ihre haselnussbraunen Mandelaugen, auf ihre schneeweiße Haut und die vollen roten Lippen, mir stockt der Atem, bei ihrem Anblick. Wo ist diese Göttin auf einmal her gekommen?
"Das ich das noch erleben darf. Mein Mann spielt mit seinen Kindern!" Erst mit ihren sarkastischen Worten, wird mir bewusst, dass ich vor meiner Frau stehe. Judy streckt ihre Hand nach mir aus, sie schiebt eine nasse Haarsträhne aus meinem Gesicht und betrachtet mich erhaben.
"Gut siehst du aus!", meinte sie ironisch. Ich folge ihrem Blick und werde ganz verlegen dabei, während ich meine nassen Klamotten betrachte. Sie ist so atemberaubend schön und ich sehe aus, wie ein begossener Pudel. Mein Plan, sie an unsere erste Nacht hier am Strand zu erinnern, ist gründlich schief gegangen. 
Mir fällt nichts ein, was ich ihr sagen kann, also schweige ich. Ihr Blick geht an mir vorbei und in Richtung des vorbereiteten Picknicks, ihre Gesichtszüge helle sich auf, für einen Moment kann ich ein Funkeln in ihren Augen erkennen, dass sich jedoch bei ihrer folgenden Worte wieder verliert:
"Du hast dir Mühe gegeben. Raus mit der Sprache, was hast du ausgefressen?"
"Nichts! Kann ich dir nicht einfach mal eine Freude machen?", lüge ich und merke erst jetzt, dass ich mir wegen Toni noch gar keine Ausrede zurecht gelegt habe.
"Mhm, so siehst du aus!", entgegnet Judy mir schnippisch. Sie glaubt mir kein Wort, mit gestraften Schultern und hoch erhobenem Kopf, geht sie an mir vorbei. Ich drehe mich um und sehe ihr nach. Unsere Kinder stehen noch immer unbeweglich neben dem Picknickplatz, sie beobachten uns aufmerksam und schienen auf etwas zu warten. Die letzten Wochen habe Judy und ich mit streiten verbracht, ich seufze ergeben und folge Judy. Das geht nicht gut aus, wenn mir nicht bald etwas einfällt, wie ich sie wieder friedlich stimmen kann. Ich schließe zu ihr auf, als sie vor dem gedeckten Picknickplatz stehen bleibt und die angerichteten Speisen betrachtet. Die Blicke meiner Kinder folgen mir, als ich hinter ihrer Mutter stehen bleibe und ihr meine Arme um die Taille lege. Um sie zu beschwichtigen, ziehe ich sie eng an mich und lege meine Lippen in ihren Nacken, ich küsse sie zärtlich, doch ihre Haltung entspannt sich nicht. Lediglich die Gänsehaut in ihrem Nackten verrät mir, dass meine Berührung überhaupt etwas in ihr auslöst. 
"Lass mich! Ich bin sauer auf dich", schimpft sie und schiebt meine Arme von sich. Sie dreht sich zu mir um und funkelt mich böse an.
"Ich weiß genau, was du mit Toni hier getrieben hast. Ich konnte es in seinen Augen lesen." Ich rolle mit den Augen und weiche ihrem prüfenden Blick aus, nicht wieder diese Thema, das bringt nur Ärger und Streit. 
"Willst du jetzt ernsthaft mit mir über ihn reden, oder wollen wir nicht einfach mal einen schönen Tag zusammen verbringen?", frage ich sie und sehe sie dabei wieder direkt an. Sie scheint einen Moment über meine Worte nachzudenken, bevor sie mir antwortet:
"Wozu? Damit du morgen wieder mit ihm verschwinden kannst und denkst, damit ist alles aus der Welt geschafft." Ich weiche ihrem Blick abermals aus. Es stimmt, das ist es, was ich für gewöhnlich zu tun pflege. Ich sehe von ihr zu unseren Kindern, die uns mit traurigem Blick beim Streiten zuhören, schon für sie muss ich diese Gespräch irgendwie in eine positive Richtung lenken. Ich sehe zurück in die Augen meiner Frau, während ich ihr entgegne: 
"Toni und ich haben entschieden, uns erst mal nicht mehr zu sehen und uns um unsere Familien zu kümmern!" Das diese Idee nicht von mir stammt und ich mit der Trennung auf unbestimmte Zeit nicht einverstanden gewesen bin, verschwieg ich ihr. 
"Ach, was du nicht sagst!" Sie glaubt mir noch immer kein Wort. Hat Toni denn zu Hause nicht erzählt, dass er plant mit Anette in den Urlaub zu fahren?
"So viel ich weiß, war er es, der mit seiner Familie wegfahren will und erst danach, bin ich dir wieder eingefallen!" Er hat also doch vor ihr darüber gesprochen. Mir fällt nicht ein, wie ich mich aus der Nummer herausreden kann, also versuche ich es erst gar nicht, sondern änderte meine Taktik. 
"Was spielt das für eine Rolle? Wir sind hier, das Wetter ist toll, ich hab keine Termine und wir sind unter uns. Können wir das nicht einfach genießen?", bitte ich sie eindringlich.
"Ja, Mama! Mach nicht alles kaputt!", höre ich Amy neben mir sagen. Erschrocken sehe ich zu ihr hinab, sie hat sich auf meine Seite gestellt, die Arme hat sie in die Hüften gestemmt, sie sieht ihre Mutter grimmig an. Ich betrachte sie mit einer Mischung aus Erstaunen und Bewunderung. Ich habe nicht erwartet, dass sie sich auf meine Seite schlägt und vor ihrer Mutter in Schutz nimmt. Judy betrachtet sie eben so perplex, wie ich. 
"Könnt ihr euch nicht einfach wieder lieb haben, so wie früher?", mischt sich nun auch Rene ein. Er steht noch immer abseits, mit seiner leeren Wasserpistole in der Hand. Seine zweite liegt neben ihm im Sand, dort wo Amy sie fallen gelassen hat, bevor sie zu mir gekommen ist. In seinen Augen haben sich Tränen gesammelt, die er tapfer zurückkämpft. Ich fahre mir betroffen durch die nassen Haare, bin ich mir doch nicht sicher, ob Judy und ich uns wirklich noch lieben können. 
Ich betrachte meine Frau mit einem traurigen Blick, sie sieht von Amy auf Rene und schweigt bedächtig, bevor sich unsere Blicke wieder treffen. Die Zeit, in der wir uns einmal geliebt haben, scheint mir so unendlich fern zu sein, dabei hat sie sich nicht verändert, ihr ebenmäßiges Gesicht ist noch immer jugendlich, ihre langen schwarzen Haare glänzen im Sonnenlicht, ihre wohlgeformte Figur hat sich nicht verändert, trotz der zwei Kinder, hat sie kein Gramm zugenommen, sie ist noch immer die Frau, die ich geheiratet habe. 
Ich beginne mich an die Zeit in Italien zu erinnern, in der ich sie und die Kinder für tot gehalten und mir nichts sehnlicheres gewünscht habe, als bei ihnen zu sein und nun habe ich die große Chance dazu und nutzte sie nicht. Ich bin mit der Rolle als liebender Ehemann und Familienvater schlicht und ergreifend überfordert. Die ganze Zeit über bin ich mit mir selbst beschäftigt und damit, die schrecklichen Erlebnisse der Vergangenheit zu verarbeiten, dass ich sie drei ganz vergessen habe. Meine Familie droht auseinander zu brechen, sie brauchten mich und vielleicht sind gerade sie es, von denen ich wieder lernen kann, das Leben zu genießen, anstatt vor mir selbst zu fliehen.
"Judy!", beginne ich, "Ich weiß, dass ich längst keine Chance mehr verdient habe. Ich habe so ziemlich alles falsch gemacht, seit ich aus Italien zurück gekommen bin, aber ich möchte den Tag wirklich mit dir und den Kindern verbringen. Ich bin kein guter Ehemann und Vater gewesen, aber ich möchte einer werden!" Mit dem Aussprechen dieser Worte merke ich erst, wie ernst ich es diesem Mal meine. Der Gedanke Vater und Ehemann zu sein, endlich einer intakten Familie anzugehören, fängt mir zum ersten Mal an zu gefallen. Bisher habe ich nie die Zeit gehabt darüber nachzudenken und die Gefühle, die damit verbunden sind, zuzulassen, ich bin viel zu sehr damit beschäftigt gewesen, Michael zu bekämpfen und meinen Platz im Clan zurück zu erobern. 
Judy verschränkt die Arme vor der Brust, ihre Haltung spannt sich merklich an, während ihr Blick sich mit Traurigkeit füllt.
"Enrico, wenn ich ehrlich bin, ich glaube nicht, dass du so jemand werden kannst", lässt sie mich wissen. Ich wende meinen Blick enttäuscht von ihr ab. Ist bei mir wirklich schon Hopfen und Malz verloren?
"Jetzt gib Papa ne Chance!", ruft Amy energisch. Sie steht noch immer mit den Armen in den Hüften gestemmt neben mir, auch Rene hat sich inzwischen auf meine Seite gestellt. Ich beobachte ihn dabei, wie er sich vor seiner Mutter aufbaut und das Wort für mich ergreift:
"Ehrlich Judy! Amy hat recht! Ich will auch, dass wir wieder eine Familie werden!" Das Rene seine Mutter beim Vornamen nennt überhöre ich, viel zu gerührt bin ich von dem Einsatz meiner Kinder für mich, das habe ich gar nicht verdient. Ich habe sie oft belogen und meine Versprechen gebrochen, ich kann gar nicht verstehen, warum sie auf meiner Seite sind. Mir steigen die Tränen in die Augen, ich habe zwei wundervolle Kinder und bin die ganze Zeit so voller Rachegedanken und falschem Ehrgeiz gewesen, dass ich es nicht gesehen habe. Auf einmal spielt es keine Rolle mehr, wie Judy sich entscheidet. Ich habe etwas viel wichtigeres erfahren dürfen, ich bin mir der Liebe meiner Kinder bewusst geworden und das obwohl ich bestimmt der größte Arsch auf dieser Welt bin. 
"Amy, Rene!", kommen mir ihre Namen, wie ein stilles Gebet über die Lippen. Ich gehe in die Knie und ziehe meine Kinder an mich. Sie wissen gar nicht, wie ihnen geschieht und lassen es regungslos über sich ergehen, als ich meine Arme um sie lege und sie an mich drücke.
"Danke!", flüstere ich ihnen zu. 
"Weinst du etwa, Papa?", will Rene erschrocken von mir wissen. Er hat bemerkt, dass ich die Tränen nicht länger zurückhalten kann, bisher hat er mich noch nie weinen gesehen.
"Ja!", gebe ich ohne Scheu zu.
"Warum?", fragt er verständnislos.
"Weil ich eine rissen Idiot bin und euch ganz vergessen habe!", erkläre ich ihm. Das erste Mal, seit ich aus Italien zurück bin, legt der Junge seine Arme um mich. 
"Ach Papa, wir haben dich trotzdem lieb!", sagt er während er mich drückt. Auch Amy legt mir ihre Arme um den Hals, sie sagt nichts, ihr reicht es in meiner Nähe zu sein. 
Renes Worte treiben mir nur noch mehr Tränen in die Augen, ich habe meine kleine Familie gar nicht verdient, um so mehr spüre ich die Freude in mir aufsteigen, sie trotzdem zu haben. Ich drücke meine Kinder noch einmal fest, dann kann ich eine warme Hand auf meiner Schulter spüren, ich sehe auf und blicke in die haselnussbraunen Augen meiner Frau, sie hat ein versöhnliches Lächeln aufgesetzt. Ich bin mir nicht sicher, ob es unseren Kindern oder mir gilt, also wische ich mir die Tränen mit dem Handrücken aus den Augen, um sie besser erkennen zu können. 
"Ich gebe dir noch eine Chance, aber es wird deine letzte sein!", sagt sie. Augenblicklich kehrt ein Lächeln in mein Gesicht zurück. Ich lasse meine Kinder los und richte mich auf, dann lege ich ihr meinen Arm um die Hüften und ziehe sie zu mir. Diesen Mal läst sie es geschehen. Als ich sie küsse, beginnen ihre Augen zu leuchten, sie legt ihre Hände um meine Wangen und schließt, für einen weiteren Kuss, die Augen. 
"Ich liebe dich!", haucht sie mir auf die Lippen. Das hat sie schon lange nicht mehr gesagt. Ich fühle in mir den Funken wieder aufflammen, der einmal für sie gebrannt hat. 
"Ich dich doch auch!", sage ich und meine es seit langem mal wieder ehrlich und aufrichtig und nicht, wie sonst, aus reiner Gewohnheit.

Wir essen gemeinsam die Speisen, die Susen und Raphael zubereitet haben und verbringen den restlichen Tag zusammen am Strand. Ich beginne meine kleine Familie mit anderen Augen zu sehen. Bisher bin ich es leid gewesen, nach Hause zu kommen und von Amy und Rene überfallen zu werden. Nach 48 Stunden ohne Schlaf, bin ich ihnen nicht mehr gewachsen, doch heute ist alles anders. Ich bin satt, habe gut geschlafen und sitze in der Sonne, ich genieße ihre wärmenden Strahlen auf meiner Haut. Ich habe mich dicht ans Meer gesetzt und die Beine ausgestreckt, mit den Armen stütze ich mich ab, während ich mich zurück lehne und den blauen Himmel betrachte. Ein Gefühl von Weite und Freiheit überkommt mich, die Wellen fluten in regelmäßigen Abständen meine Füße und spülen mir den Sand zwischen die Zehen. Ich habe ganz vergessen, wie es ist sich Zeit für etwas zu nehmen, überhaupt mal Zeit zu haben. 

Langsam senke ich meinen Blick und richte ihn auf Amy und Rene, die beiden sind ins Meer schwimmen gegangen, sie spielen in den Wellen und wirken so ausgelassen und fröhlich, so habe ich sie schon lange nicht mehr gesehen. Während Rene abtaucht, zählt Amy die Sekunden, die er unter Wasser bleibt, sein Rekord liegt bei einer Minute und neun Sekunden. Er ist sehr ehrgeizig, wenn es um seine eigenen Leistungen geht, das hat er wohl von mir geerbt. Amy hingegen traut sich noch nicht einmal ihren Kopf unter Wasser zu stecken, sie spornt lieber ihren Bruder an. Ich habe den Eindruck., dass sie so gar nichts von mir hat, dafür aber eine Menge von ihrer Mutter, sie ist ihr wie aus dem Gesicht geschnitten und ahmt selbst ihren eleganten Gang nach. Ich frage mich, wann die beiden wohl so groß geworden sind, in meiner Erinnerung sind sie noch immer zwei Jahre alt. Ich habe wirklich viel Zeit mit ihnen verpasst, während den fünf Jahren in Italien und selbst jetzt bin ich ihnen noch kein Stück näher gekommen, im Gegenteil, ich bin bis heute vor der Verantwortung geflohen.
Was Michael wohl mit ihnen gemacht hätte, wenn Toni nicht gewesen wäre? Ich will mir nicht ausmalen, was die beiden und Kira für Ängste haben durchstehen müssen. Bisher habe ich es vermieden, Toni danach zu fragen, wo und wie er die Kinder gefunden und befreit hat, lieber bin ich vor der Wahrheit davongelaufen. Ich habe sie nicht beschützen können und wahrscheinlich werde ich es auch in Zukunft nicht können, ich habe selbst hunderte Jobs erledigen müssen, bei denen auch Kinder zu meinen Opfern gehörten. Es ist einfach unmöglich jemanden 24 Stunden am Tag zu beschützen. Mir tut es fast leid, dass sie gerade mich zum Vater haben, immerhin stehen sie damit auf vielen Entführungslisten ganz oben. Ich brauche dringen mehr Einfluss und Macht, um sie damit vor Übergriffen zu schützen, so wie es Aaron mit seinen Töchtern geschafft hat. Wobei, eine von ihnen ist trotz seiner Bemühungen ums Leben gekommen. Ich schüttele mir die Erinnerungen an Robin aus dem Kopf und versuche dabei möglichst nicht an das Kind zu denken, dass sie bei ihrem Tod im Bauch getragen hat, doch es will mir nicht gelingen. Robin hat in Italien jede Minute an meinem Krankenbett verbracht und mich immer wieder aufgebaut, als ich nach den zwei Jahren Koma wieder alles neu lernen musste. Sie ist meine erste große Liebe gewesen und ich kann die Male nicht mehr zählen, die ich mit ihr, trotz meiner Ehe mit Judy, im Bett gewesen bin, am Ende ist sogar ein Kind dabei entstanden. Ich weiß noch, wie sie mich angerufen und mir davon erzählt hat, sie hat kaum Worte gefunden und wusste nicht ob sie sich freuen, oder eher weinen sollte und jetzt sind sie und das Kind einfach nicht mehr da.
Mein Blick fällt noch einmal auf meine spielenden Zwillinge im Meer, was ist, wenn ich sie und ihre Mutter auf die selbe Weiße verliere?
"Worüber denkst du nach?", höre ich Judys flüstern. Sie kniet sich hinter mir in den Sand und schlingt ihre Arme um mich, ich lehne mich an sie und atme tief durch, um meine Gedanken zu ordnen, bevor ich sie ihr mitteile.
"Ich, ... ich habe Angst davor, dass euch etwas zustoßen könnte!", bringe ich es, ohne die Details mit Judy älterer Schwester Robin, auf den Punkt. 
"Das habe ich auch!", sagt sie knapp und zieht ihre Arme enger um mich zusammen. Ihr Blick geht hinaus aufs Meer und zu unseren Kindern. Rene ist gerade wieder aufgetaucht, er sieht in unsere Richtung und winkte mit etwas, das er uns offensichtlich zeigen will.
"Papa, ich habe eine Muschel gefunden!" Ich zwinge mich zu einem Lächeln und nicke meinem Sohn verstehend zu. 
"Es nützt nichts, sie nur zu beschützen. Sie müssen sich selbst zur Wehr setzten können. Das hat mein Vater uns auch schon früh beigebracht. Ich war fünf, als ich das erste Mal eine Pistole abfeuerte." Ich weiß sofort, wohin Judy das Gespräch lenken will, ich soll endlich mein Verbot aufheben und den Kindern das Training an der Waffe wieder erlauben und sie am besten auch stets eine bei sich tragen lassen, wenn sie das Haus verlassen. Ein schwerer Stein legt sich mir auf das Herz und erschwert mir das Atmen, ich weiß das etwas passieren muss und das uns keine andere Wahl bleibt, als den Kindern beizubringen, sich im Notfall selbst zu schützen. Amy und Rene werden nie so unbeschwert aufwachsen können, wie ich es in ihrem Alter konnte. Auch wenn meine Vater schon früh gestorben ist und ich meine Mutter erst als Teenager kennen gelernt habe, so brauchte ich wenigstens nie eine Waffe in die Hand nehmen, um mich zu verteidigen. Wenn es Schwierigkeiten gab, ließen die sich mit Gesprächen oder einer kurzen Prügelei klären, notfalls griff Raphael ein. Ich habe nie um mein Leben Angst haben müssen, oder um das meines Bruders. Wie ich mir doch wünsche, dass ich meinen Kindern dieses Mindestmaß an Sicherheit geben könnte. 
"Du hast recht!", gebe ich zu und scheine Judy damit zu überraschen, denn sie bleibt vorerst stumm und sieht mich fragend an. 
"Ab morgen bringe ich ihn Taekwondo bei. Ich werde sie mit zu Kenshin nehmen und im Dojo unterrichten. Ich frage auch Toni, ob er sie im Umgang mit Handfeuerwaffen ausbildet, er ist immerhin der beste Schütze, denn ich kenne", schlage ich vor. Judy kommt daraufhin ein Seufzer über die Lippen, wie immer wenn ich Tonis Namen in den Mund nehme.
"Muss es unbedingt Toni sein? Wir beide können auch mit Pistolen umgehen."
"Schon, aber nicht so wie er!", gebe ich ihr ernst zurück. In diesen Dingen dulde ich keine Diskussion, wenn die beiden schon unbedingt eine Waffe in die Hand nehmen müssen, dann sollen sie auch von dem Besten in diesem Fach lernen, außerdem liegt die Vermutung nahe, dass er ohnehin schon längst ihr Lehrer ist.
"Na wenn es denn sein muss!", gibt Judy nach, "Aber wenn du heute schon mal deinen großzügigen Tag hast, es gibt da etwas, über das ich schon lange mit dir sprechen will!" Auch das noch. Was kommt jetzt? Ich hoffe inständig, dass es kein neues Streitthema ist, es doch gerade so friedlich zwischen uns. 
"Muss das unbedingt jetzt sein?", frage ich sie und will das Gespräch noch etwas aufschieben. Judys Umarmung wird enger, sie gibt mir einen Kuss in den Nacken. Mir ist klar, dass sie hartnäckig bleiben wird. 
"Ich will nicht mehr in der alten Fabrik zusammen mit Toni wohnen! Ich halte es da mit ihm nicht länger aus. Immer wenn ich ihn sehe, erinnert er mich daran, das dein Herz nicht mir allein gehört", beginnt sie vorsichtig. Ich unterdrücke einen Seufzer, sie will in die Villa ihres Vaters ziehen und ich kann sie auch verstehen, sie ist vollständig möbliert und wartet nur darauf, von uns bezogen zu werden. Lediglich ein paar kleinere Renovierungsarbeiten sind nötig, um sie unseren Vorstellungen anzupassen. Ich schließe für einen Moment die Augen, um den Gedanken, dort einzuziehen, zulassen zu können. Das Judy nicht länger mit Toni unter einem Dach leben will, kann ich verstehen, besonders, da wir eine viel besser Option haben. Vielleicht ist es auch für mich ganz gut, ihm nicht ständig über den Weg zu laufen, selbst wenn wir mal keine Aufträge oder Termine zu erledigen haben, andererseits wird es mir fehlen, ihn nicht ein Zimmer weiter zu wissen. Seine Nähe gibt mir zumindest ein bisschen Sicherheit, in diesen unsicheren Zeiten. 
"Ich weiß nicht!", versuche ich meine Entscheidung noch einen Moment hinauszuzögern. 
"Bitte, Enrico! Ich will endlich zur Ruhe kommen. Die Fabrik ist kein Zustand, auch nicht für Amy und Rene. Wenn erst mal der Winter kommt, werden wir dort alle erfrieren!" Sie übertreibt schamlos, wir haben Jahrelang dort gehaust und sind auch nicht im Winter erfroren, aber ich weiß, was sie meint. Obwohl wir die alte Fabrik wieder hergerichtet haben, bleibt sie ein Altbau ohne Heizung und Warmwasser, es ist lediglich die Nostalgie alter Zeiten und die Angst vor der Konfrontation mit Aarons Tod, die mich dort halten. 
"Gib mir zwei, drei Tage, um mich mit dem Gedanken anzufreunden!", bitte ich meine Frau. Judys Umarmung lockert sich etwas, ich glaube sie hinter mir Triumphieren zu hören, während sie sagt:
"Okay, zwei, drei Tage, dann ziehen wir um!" Spätestens jetzt habe ich verloren, die Entscheidung ist getroffen. Judy kennt mich und weiß, wie ich eine Zustimmung verpacke, ohne sie wirklich auszusprechen. Jetzt bleibt mir keine Wahl mehr, ich muss mich mit Aarons Tod auseinandersetzen, aber vielleicht ist das am Ende besser, als ständig vor der Realität auf der Flucht zu sein.


Zuletzt von Enrico am Di Jun 19, 2012 6:01 am bearbeitet; insgesamt 5-mal bearbeitet
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