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 2. Kapitel ~Trautes Heim, Glück allein?~

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Enrico
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BeitragThema: 2. Kapitel ~Trautes Heim, Glück allein?~   2. Kapitel ~Trautes Heim, Glück allein?~ EmptySa Jan 08, 2011 2:56 pm

2. Kapitel
~Trautes Heim, Glück allein?~
Bis ans andere Ende der Stadt mussten die beiden Freunde. Ins Ghetto, dort wo sie aufgewachsen waren.
Abseits der lauten Straßen, in einem längst verlassenen Industriegebiet, stand sie. Ihre Fabrik.
Schon von weitem konnte man den großen Schornstein erkennen. Erhaben über allen anderen Gebäuden, thronte er und wies ihnen die Richtung, führte sie durch enge Gassen, über hohe Zäune und Mauern.
In einem Wettrennen, brachten beide die letzten Meter hinter sich, erreichten völlig außer Atem das riesige Tor und zwängten sich durch dessen Gitterstäbe.
Wer zuerst an der Anmeldung der alten Textilfabrik war, hatte gewonnen, so die Wette. Enrico aber kam nicht bis dorthin. Nachdem er sich durch die Gitterstäbe des Tores gezwängt hatte, hielt er inne. Sie stand also noch. Niemand hatte es gewagt sie abzureißen.
Toni hatte ihn inzwischen längst überholt, war im Fabrikgelände voraus geeilt. Enrico aber konnte seinen Blick nicht von dem riesigen Schornstein lassen. Etwas fehlte dort. War da nicht sonst immer ...
Die Flagge, die früher schon von Weitem signalisiert hatte, wer hier zu Hause war. Der Wolf, das Symbol seiner einst so stolzen Gang, war verschwunden. Nur noch der Stab, an dem der Stoff befestigt war, war am Rande des Schornsteins auszumachen. Sicher hatten ihre Feinde die Flagge herunter geholt ...
Nein, sie hatte gebrannt! Ohne dass er es wollte, keimte in Enrico eine Erinnerung auf. Nicht nur die Flagge hatte gebrannt, auch das lang gezogene Gebäude vor ihm. Nur widerwillig ließ Enrico seinen Blick sinken. Hier war mehr geschehen, als die lächerlichen Bruchstücke, an die er sich nach dem Koma hatte erinnern können.
"Leon, gibst du schon auf?", brach sich Tonis Stimme an den Wänden des Fabrikgebäudes. Das Wettrennen hatte Enrico ganz vergessen und auch, wenn er zuvor alles gegeben hatte, um zu gewinnen, so spielte der Sieg nun keine Rolle mehr für ihn.
Die Puzzleteile seiner Vergangenheit wollte er endlich zusammenfügen, für sich selbst klären, was hier wirklich passiert war.
Während Toni irgendwo im Liefereingang für Lkws verschwunden war, hielt Enrico ohne Umwege auf die Größte der drei Lagerhallen zu. In ihr hatte sich einst ihr Aufenthaltsraum befunden und dort waren die russ-schwarzen Fensterrahmen schon von Weitem zu erkennen. Dort war der Brand gelegt worden, der ihr Zuhause vernichtet und ihm und Toni beinahe das Leben gekostet hatte.

Bedächtig schritt Enrico auf den Rahmen der Tür zu, die aus den Angeln gehoben, am Eingang lag. Nur einen flüchtigen Blick warf er auf sie. Hier durch war sein Erzfeind verschwunden, nachdem er das Feuer entzündet hatte. Für einen kurzen Moment meinte Enrico, das fallende Sturmfeuerzeug auf den Boden aufschlagen zu hören. Auch die Panik, die er damals gespürt hatte, holte ihn jetzt ein. Sollte er wirklich eintreten? Was wenn ihn da drin die Bilder seiner Vergangenheit überwältigten? Er hatte sicher viel mehr vergessen, verdrängt, als er sich selbst eingestehen wollte. Trotzdem, irgendetwas in ihm zwang ihn weiter zu gehen. Er hatte etwas vergessen, etwas Wichtiges.
Düster, wie in schwarze Plakatfarbe getaucht, erstreckte sich vor ihm die große Halle. Vom Feuer verwüstet, die Wände von Einschusslöchern gesiebt. So viel Munition war hier verschossen wurden. Einige leere Hülsen am Boden zeugten noch immer davon.
Der lange Holztisch, an dem sie einst zusammen gesessen und ihren Hunger gestillt hatten, war umgekippt. Als Deckung hatten Toni und er ihn damals umgeworfen. Auch von den etlichen Stühlen stand keiner mehr. Lediglich der Sessel des Anführers, jener der stets an der Stirnseite des Tisches platziert war, hatte das Feuer aufrecht überstanden. Von Kugeln in Fetzen geschossen, lugte die Polsterung und einige Sprungfedern unter dem verkohlten Leder hervor.
Gedankenverloren ließ sich Enrico auf dem schwarzen Sessel nieder. Mit leerem Blick sah er über den umgekippten Tisch und versuchte sich zu erinnern. Was war davor gewesen? Wie hatten sie hier eindringen, sie einfach so überwältigen können? Etwas Wichtiges war ihm entfallen, aber was nur?
Den Kopf in die offene Handfläche gestützt, ließ er in Gedanken den Tisch und seine Freunde daran wieder auferstehen.
Sie hatten gefeiert, fröhlich und ausgelassen, hatten ihn beglückwünscht. Er hatte Geburtstag gehabt, war gerade zwanzig geworden und wirklich alle waren gekommen, um das gebührend zu feiern.

Robin, seine Geliebte, Judys ältere Schwester, hatte sich trotz Feindschaft mit seiner Ehefrau hierher gewagt, hatte rechts neben ihm gesessen. Wie Judy damit zurecht gekommen war, begriff er bis heute nicht. Hatte sie wirklich geglaubt er würde mit der Heirat treu werden, oder war es nur um keine unehelichen Kinder zu haben? Enrico wusste es nicht und an die erzwungene Heirat wollte er nicht denken. Stattdessen sah er weiter über den Tisch. Links von ihm war der Platz seines Bruders und dessen Frau gewesen. Zwei befreundete Polizisten, kamen gleich danach. Viele verschwommene Gesichter folgten, füllten den Tisch bis zum anderen Ende aus, an dem Toni mit seiner Freundin Anette das Bild abrundete. Nur zwei Plätze blieben dazwischen frei, aber wem gehörten sie?
Richtig, Judy. Seine Frau wollte nicht so weit von ihm weg sitzen, hatte sich lange darüber beschwert und schließlich seinen Schoß, dem Stuhl in der Ferne vorgezogen.
Ein Schmunzeln huschte über Enricos Lippen, als er an den Streit dachte und an Judys Protest unbedingt auf seinem Schoss sitzen zu wollen, um allen und ganz besonders Robin zu zeigen, wem er gehört. Wie sehr ihm das doch fehlte. Er hatte sich immer wichtig dabei gefühlt, wenn die beiden Frauen um ihn stritten.
Vom Tisch sah Enrico an seinem Sessel hinab. Irgendwas war auch dort gewesen, nur was? Während er in Gedanken nach einer Antwort suchte, fiel ihm im Staub und Ruß des Bodens eine faustgroße Kugel auf.
Was hatte das denn hier zu suchen? Mit der Hand die zuvor seinen Kopf gestützt hatte, griff Enrico nach der Kugel, hob sie zu sich und befreite sie vom Staub und Dreck der Jahre. Ein roter Ball kam zum Vorschein. Das Lieblingsspielzeug seines damals zweijährigen Sohnes.
Er hatte hier gespielt, zusammen mit seiner Zwillingsschwester. In Enricos Gedanken verschwand der Staub wieder, machte Platz für einen weißen Teppich unter seinen Füßen, auf dem zwei kleine Kinder spielten. Wieder huschte ein Lächeln über Enricos Gesicht. Wie stolz war er gewesen, als sie Papa noch vor Mama sagen konnten und ihm das erste Mal in die Arme gelaufen kamen. Das Lächeln verging ihm, als er daran dachte, was er alles schon verpasst hatte. Er war nicht da gewesen, um zu sehen wie sie groß wurden. Nicht einmal Jacks Geburt hatte er miterleben können. Seinen jüngsten Sohn hatte er erst vor einem Monat kennen gelernt, als er mit Toni in die USA gekommen war, um ihn zu besuchen. Hoffentlich ging es ihnen bei Robin und den anderen beiden gut, bei denen er sie in New York zurück gelassen hatte. Ein Stechen zog sich durch Enricos Herz, als er an die drei dachte.
Vom Boden sah er wieder auf, zurück zu den Freunden bei Tisch. Den Gedanken an seine Kinder verdrängte er. Stattdessen versuchte er sich zu erinnern. Alles war so sorglos gewesen. Was war nur geschehen, dass sich dieser Raum in ein brennendes Inferno hatte verwandeln können?

Noch einmal blieb Enricos Blick an dem letzten leeren Stuhl hängen, den er sich einfach nicht erklären konnte. Wer hatte dort gesessen? Er hatte doch jeden Stuhl besetzt, nur dieser war frei. Warum?
Jemand war aufgestanden, war zu ihm gekommen. Aber egal wie sehr Enrico sich anstrengte, die Person wollte keine Gestalt, kein Gesicht bekommen. Nicht einmal eine Stimme hallte in seinem Gedächtnis wieder, als er angesprochen wurde. Irgendwas wollte er von ihm, der Schatten ohne Namen. Unter vier Augen sprechen, erinnerte sich Enrico.
Er war ihm gefolgt, hatte ihm den Wunsch erfüllt und gemeinsam mit ihm die Halle verlassen. Die schwere Eisentür, am anderen Ende, war nach ihnen zu gefallen. Noch einmal sah sich Enrico gehen und alle die er liebte zurücklassen. Und dann?

Die Bilder verschwanden mit der geschlossenen Tür. Er musste den Weg noch einmal gehen. Den Ball, den er noch immer in der Hand hielt, legte er auf der Lehne des Sessels ab und erhob sich. Um den Tisch herum führte er seine Schritte. Entlang an den zerbrochenen Stühlen, die sich im ganzen Raum verteilten, bis er die eiserne Tür erreicht hatte.
Das Feuer hatte ihr nichts anhaben können, auch die Kugeln waren an ihr abgeprallt, nur kleine Dellen waren zurückgeblieben.
Mit der Hand auf der Türklinke hielt Enrico inne. Wollte er es wirklich sehen? Zögernd sah er über die Schulter zurück auf den umgestürzten Tisch. Für einen Moment erstand er noch einmal für ihn auf und um ihn herum sein ganzer Clan. Die fröhlichen Stimmen, die in Feierlaune wirr durcheinander riefen, hallten in seinem Gedächtnis wieder.
Er war es ihnen einfach schuldig, entschied Enrico, drückte die Klinke nach unten und trat in den langen Gang, der sich hinter der Tür erstreckte.
Der Schatten, den er noch immer nicht identifizieren konnte, wartete dort schon, führte ihn den Gang entlang in ein leeres Zimmer. Noch nie hatte es hier etwas gegeben, auch jetzt nicht. Warum also sollte er hier her mitkommen?
So ratlos wie damals, sah Enrico sich in dem kleinen Raum um, lief bis in die Mitte und hörte dort erneut die Tür hinter sich zuschlagen. Ein Schlüssel drehte sich im Schloss und als Enrico zurück sah, war die Tür bereits verschlossen. Übrig blieb ein gehässig grinsender Schatten, der seine Waffe erhob und auf ihn richtete. Ein Schuss fiel, hallte im Raum wieder und schlug über Enricos Hüfte ein. Eine Falle, erinnerte er sich an seinen ersten Gedanken damals und zog rein aus Reflex seine Pistole aus dem Gürtel. Nur mit Mühe konnte er sich auf den Beinen halten, den Schmerz ignorieren, der sich durch seinen Körper zog. Noch eine Chance zu schießen durfte er dem anderen nicht geben.
Schließlich traten aus dem Schatten neben der Tür zwei Männer, durch und durch in Schwarz gekleidet. Ihr Lächeln war Furcht einflößend, ebenso wie ihre gigantische Erscheinung. So viel größer, als Enrico und bis an die Zähne bewaffnet.
"Michael!", sprach er mit bebender Stimme den Namen seines Erzfeindes aus, wich humpelnd vor ihm und dessen Leibwächter zurück. Seine zweite Pistole zog Enrico vom Gürtel, um wenigstens einen der beiden Männer in Schach zu halten. Das Grinsen wollte trotzdem nicht aus den Gesichtern verschwinden. Sie waren ihm haushoch überlegen und das wussten sie auch. Verzweiflung gepaart mit Todesangst, mischte sich in ein Chaos aus Gefühlen, bis eine Stimme alles durchbrach:
"Enrico! Verdammt, nimm die Knarren runter! Was soll der Scheiß?"
Jemand stahl ihm die Waffen und rüttelte ihn in die Realität zurück. Einen Moment später waren nur noch Tonis smaragdgrüne Augen vom ganzen Erinnerungschaos übrig.
"Hä?", war alles, was Enrico seinen Worten entgegen bringen konnte.

Dass er auch außerhalb seiner Erinnerungen seine Waffen gezogen und ausgerichtet hatte, wurde Enrico erst jetzt bewusst. Ein verlegenes Lächeln löste seinen verstörten Gesichtsausdruck ab. Das hätte schief gehen können. Eine falsche Bewegung oder Geste und er hätte Toni erschossen. Ein Glück nur, dass dieser so geistesgegenwärtig war, ihm die Pistolen abzunehmen.
"Sorry!", zwang sich Enrico zu sagen, dann verfinsterte sich sein Blick wieder. Es gab einen Verräter, das wusste er nun. Dessen Identität war ihm allerdings ein Rätsel. Sicher würde Toni mehr wissen.
Ohne seinem Freund die Zeit für eine Reaktion, oder ein weiteres Wort zu lassen, packte er ihn am Oberarm und zog ihn daran mit sich.
"Komm mit!"
Nur widerwillig kam Toni seinem Wunsch nach.
"Was ist nun wieder?", begriff er nicht und stolperte ihm mehr schlecht als recht hinterher. Durch den langen Flur und nach der schweren Eisentür gelangten sie zurück in den verwüsteten Aufenthaltsraum.
Erst dort ließ Enrico von seinem Freund ab und lief zum Tisch zurück um Toni zu erklären.
"Pass auf! Hier saß Robin, dann kam Raphael, Susen, Jan, Lui, Judy, ... aber wer zum Teufel hat hier gesessen?" Von der Stirnseite des Tisches aus lief Enrico die Plätze ab, bis er an dem ankam, der für ihn noch immer leer war.
"Wovon redest du überhaupt?", verstand Toni noch immer nicht.
"Mein 20. Geburtstag! Ich muss wissen, wer an dem Tag hier gesessen hat!", wurde Enrico mit jedem Wort energischer. Ein simpler Name, mehr wollte er nicht als Antwort.
"Warum ist dir das so verdammt wichtig?"
"Sag’s einfach!", forderte Enrico eindringlich. Über den Grund konnten sie auch später noch diskutieren. Erst einmal wollte er nichts weiter als einen Namen.
"Ich hab keine Ahnung! Das ist fünf Jahre her!" Mit langsamen Schritten näherte sich Toni dem Tisch. Besorgnis spiegelte sich in seinen Augen. Sicher war ihm Enricos Verhalten nicht geheuer.
"Du musst es aber wissen! Wer immer hier gesessen hat, hat mich in eine Falle gelockt und den Drachen den Weg in unser Lager geebnet", erklärte Enrico. Seine Stimme erhob sich immer wieder, in der Hoffnung, schneller eine Antwort zu erhalten.
"Du meinst wir hatten einen Verräter unter uns?" Ungläubig sah Toni ihn an, versuchte mit der Lautstärke Enricos mitzuhalten und gegen sie anzukommen.
"Ja, aber ich weiß ums Verrecken nicht mehr, wer es war." Voller Wut über die Lücke in seinem Gedächtnis trat Enrico gegen ein Stuhlbein am Boden und schleuderte es gegen die nächste Wand. An ihr zerbrach das verkohlte Holz und blieb in der Asche auf dem Boden liegen. Verschüttet, seiner Erinnerung gleich.
Dann wurde es still. Nur Tonis Schritte pflügten durch den Staub der Jahre und führten ihn um den umgeworfenen Tisch herum. Eine ganze Runde, dann hatte er Enrico wieder erreicht. Den Blick auf den leeren Platz gerichtet, den Enrico ihm gezeigt hatte, meinte Toni leiser als zuvor:
"Ich erinnere mich nicht mehr. Es ist einfach zu lange her ..."
"Verdammt!" So nah war er nun schon an der Lösung gewesen und nun blieb die Vergangenheit noch immer ein Rätsel. Den Blick gesenkt, begann Enrico mit dem Fuß Furchen in Asche und Staub zu ziehen. Was nun? Was wenn er diesem Kerl noch einmal über den Weg lief, ohne zu ahnen, dass er es war und einmal mehr verraten wurde?
"Es war vielleicht doch keine so gute Idee hier her zu kommen”, begann Toni zu sprechen.
"Es ist schon ok. Mir geht’s ... gut", gab Enrico ihm nur kleinlaut zurück. Dass sich sein bester Freund schon wieder sorgen musste, wollte er nicht. Er war doch über das Schlimmste hinweg, hatte seine Ängste und Sorgen unter Kontrolle.
Je mehr Enrico sich das einzureden versuchte, umso mehr musste er sich eingestehen, dass es nicht stimmte.
"Du siehst fertig aus. Komm lass uns sehen, was von unseren Zimmern noch übrig ist und dann schläfst du dich erst mal aus."
Als sich Tonis Hand auf seine Schulter legte, sah Enrico wieder auf. Ob er wirklich so schlimm aussah? Sicher, er hatte seit zwei Nächten kein Auge mehr zu getan, sich ständig Sorgen über die Heimreise gemacht, aber wirklich müde fühlte er sich nicht. Noch immer rasten die Bilder seiner Vergangenheit durch seinen Kopf und würden es ihm ohnehin unmöglich machen einzuschlafen. Dennoch hörte sich der Vorschlag, einfach erst mal auszuruhen, gut an.
Mit einem Nicken gab Enrico seinem Freund zu verstehen, dass er einverstanden war.

Durch den Aufenthaltsraum und an den zerbrochenen Stühlen vorbei, liefen beide zurück zur Eisentür und ließen den rußgeschwärzten Aufenthaltsraum und seinen Schrecken hinter sich. Der Flur hinter der Tür war von den Flammen verschont worden. Das fiel Enrico erst jetzt wirklich auf. Seltsam. Ob die Feuerschutztür es abgehalten hatte? Einen flüchtigen Blick warf Enrico zurück zu ihr. Vielleicht war auch einfach die Feuerwehr schnell genug da gewesen? Er wusste es nicht.

Nur einige Einschusslöscher in den Wänden, erinnerten an das blutige Gefecht. Mehr der Verwüstung war nicht bis hier her vorgedrungen. So schnell war alles entschieden gewesen, dass sie ihr Heim nicht lange hatten verteidigen können.
Der Gang erstreckte sich scheinbar endlos und führte in etliche Zimmer und Lagerhallen. Zwei davon hatten die beiden Freunde zu ihren Schlafzimmern umgebaut.
Direkt nebeneinander lagen sie, damit sich beide im Notfall nicht lange suchen mussten. Schon nach wenigen Schritten versperrten nur noch zwei Türen den Blick auf ihr altes Leben.
Ein letztes Lächeln, dann trennten sich beide und verschwanden jeweils im eigenen Zimmer.

In Erwartung, dass nichts mehr dort stand, wo er es zurück gelassen hatte, betrat Enrico den Raum. Sicher hatten sich seine Feinde darin ausgelassen:
Das große Fenster, ihm direkt gegenüber, lag in Scherben. Nur noch einzelne Splitter, stachen aus dem Rahmen. Der Rest des Glases lag verteilt auf dem großen Ehebett. Eingehüllte in Federn und Füllung der Kissen und Bezüge bot es keinen friedlichen Ruheort mehr für ihn und seine Frau. Der Rahmen war von Axthieben zerschlagen und stach in gefährlichen Pfählen hervor.
Auf der linken Seite des Raumes setzte sich die Zerstörung fort. Schreibtisch und Kleiderschrank waren zerbrochen. Begraben unter den Trümmern kamen zerrissene Zeichnungen, Bücher und Kleidungsstücke zum Vorschein. Nichts davon war noch zu gebrauchen.
Nur zögernd wandte Enrico seinen Blick der rechten Seite des Zimmers zu. Dort wo die Betten seiner Kinder standen, wollte er eine derartige Zerstörung nicht sehen. Dennoch wanderte seine Aufmerksamkeit unaufhaltsam dort hin.
Nicht weit vom Nachtlager der Eltern entfernt, standen die Kinderbetten von Tochter und Sohn und sollten beiden Schutz und Geborgenheit geben. Nun lagen sie zerschlagen in Trümmern. Die Federn und Füllungen der Kissen, Decken und Matratzen breitete sich darüber aus, während das Spielzeug aus dem Schrank dahinter, zerbrochen undxccx < in seine Einzelteile zerlegt, verstreut auf dem Boden lag.

Mit langsamen Schritten ging Enrico auf das Bett seiner Tochter zu. Hier wo er sie einst mit leiser Musik und Geschichten aus einem Kinderbuch zum Einschlafen gebracht hatte, war nur noch eine Puppe übrig. Ohne Kleidung und die Haare aus dem kleinen Kopf gerissen, lag sie eingerahmt von weißen Federn auf dem Laken. In ihrem Bauch steckte ein Taschenmesser, während die Füllung der Matratze um sie herum von getrocknetem Blut verklebt war.
Mit zitternder Hand griff Enrico nach der Puppe, hob sie aus ihrem schmutzigen Grab zu sich. Mit zunehmend verschwommenem Blick betrachtete er sie.
Ob es wohl hier gewesen war?
Es war noch gar nicht all so lange her, dass er erfahren hatte, was seiner Tochter Schreckliches angetan worden war. Furchtbar war ihr Blick gewesen, als sie sich erinnert und ihm davon erzählt hatte. So leer und verloren.
Die Erinnerungen an die Nacht, in der Amy ihr Schweigen gebrochen hatte, ließen Enrico erneut Tränen vergießen. Wie konnten sie auch einem damals gerade mal fünfjährigen Mädchen einfach so die Unschuld rauben?
Wenn er doch nur hier gewesen wäre. Hier um es zu verhindern, um sie zu schützen, wie es seine väterliche Pflicht gewesen wäre.

Aber er war es nicht gewesen …
War zu feige gewesen nach Hause zurückzukehren …
Hatte sie einfach ihrem Schicksal überlassen …
Sie im Stich gelassen …

Vor dem Bett seiner Tochter ließ Enrico sich auf die Knie fallen. Für einen Abend hatte er genug gesehen. Sich an viel zu viele Dinge auf einmal erinnert. Hier gab es nichts mehr zu retten. So vieles und mehr war einfach verloren. Mit dem Oberkörper legte sich Enrico auf die zerrissene Decke und ließ neben sie die Puppe fallen. So hoffnungslos erschien ihm die Welt, in die er zurück gekehrt war, dass selbst seine Tränen versiegten. Leere breitete sich in ihm aus und verschlang alle Gefühle. Wie gern hätte er hier und jetzt einfach aufgegeben.
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