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 30. Kapitel ~Lieben heißt loslassen~

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Enrico
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BeitragThema: 30. Kapitel ~Lieben heißt loslassen~   30. Kapitel ~Lieben heißt loslassen~ EmptyFr Feb 22, 2019 2:25 pm

30. Kapitel
~Lieben heißt loslassen~

Wie schafft es Toni nur, diesem Instrument schöne Töne zu entlocken? Wenn ich darauf spiele tun mir selbst die Ohren weh, von meinen Fingerkuppen ganz zu schweigen. Ich muss sie von den Saiten nehmen, so tief haben sie sich in meine Haut geschnitten. Während ich die tiefen Male betrachte, habe ich das Gefühl das nicht zum ersten Mal zu sehen. Dabei bin ich mir ganz sicher nie Gitarre gespielt zu haben. Es war ein anderes Instrument mit Saiten, nur welches?
Schritte nähern sich mir, ich sehe auf.
Toni hat die Hände in den Taschen seiner Hose, seine sonst so strafe Haltung wirkt eingesunken, das Lächeln auf seinem Gesicht ist aufgesetzt.
„Was ist los? Was wollte Henry?“, frage ich und sehe dem Postboten nach, der auf seine Pferdekutsche steigt und die Zügel in die Hand nimmt.
„Nichts wichtiges. Nur eine Nachricht für Jan und Lui. Ich habe ihm gesagt, dass die Beiden nicht da sind. Er will nächste Woche noch mal wieder kommen!“
Prüfend sehe ich Toni an. Seine verbissenen Gesichtszüge verraten mir, dass erlügt.
Er schafft es nicht meinem forschenden Blick stand zu halten.
„Okay, und jetzt noch mal die Wahrheit bitte!“ Die Gitarre stelle ich auf den Boden und sehe ihn ernst an.
Toni seufzt, er hebt den Blick. Das Lächeln ist von seinen Lippen verschwunden. „Lass uns nicht heute darüber reden, bitte!“ Tonis Gesichtsausdruck wird zunehmend leidender.
Ich hole Luft für einen Widerspruch, doch seine traurige Augen sagen mir dass er nicht darüber sprechen wird, egal wie lange ich nachhake. „Na schön, aber fang ja nicht an solche Geheimnisse vor mir zu haben, wie die anderen Drei. Das ertrag ich nicht von dir auch noch.“
Toni senkt den Blick und schaut hinaus auf das Meer. Er scheint den Himmel nach einer passenden Antwort abzusuchen, schließlich kommt er die wenigen Schritte zu mir, die uns noch trennen. Er nimmt mir die Gitarre aus der Hand und lehnt sie an die Hauswand, dann greift er meine Hand.
„Komm lass uns ein Stück spazieren gehen.“
Ich schaue skeptisch und stehe auf. „Okay, mal sehen wie weit ich komme.“ Vielleicht ist er ja beim Laufen gesprächiger.
Toni lässt meine Hand los, er geht langsam los.
Ich hole zu ihm auf und laufe schweigend neben ihm her.
Wir halten uns ganz nach an den Klippen, das Meer rauscht neben uns. Die Wellen schlagen gegen die Klippen. Vereinzelte Wolken ziehen am Himmel entlang.
Immer wieder sehe ich zu Toni auf, er kämpft mit den Tränen das kann ich deutlich sehen, doch er bringt es nicht über sich etwas zu sagen.
Ich sehe hinaus auf das Meer und bleibe stehen. Meine Hände stecke ich in die Taschen meiner Jacke. Ein kühler Priese zieht an mir und bringt meine Frisur durcheinander.
Ich genieße den Wind.
Toni bleibt in einiger Entfernung stehen, fragend sieht er zu mir zurück. „Kannst du schon nicht mehr?“, fragt er.
Ich lächle und überhöre seine Frage, stattdessen betrachte ich die Sonne die sich in den Wellen spiegelt. „Ich habe immer zum Fenster hinaus auf die Wellen gesehen, als ich das Bett noch nicht verlassen konnte. Ein tiefes Gefühl der Sehnsucht hat mich immer wieder hier hinaus gezogen und dort zum Firmament blicken lassen. Als wenn ich gewusst hätte, dass dort jemand ist, der auf mich wartet. Ich habe mich immer gefragt, warum nie ein Brief kommt und ob ich keine Familie habe, die mich vermisst und nach mir sucht. Dabei hätte ich es sein müssen, der Briefe schreibt und auf die Suche geht.“ Ich wende mich ihm zu. „Toni, ich war die letzten Jahre nicht für dich, wo du mich sicher am meisten gebraucht hättest. Aber ich möchte es jetzt gern sein. Also was quält dich so?“
Er wendet den Blick ab, hinaus aufs mehr. Seine Lippen beben, ich bin mir sicher dass er etwas sagen will, doch er atmet erschwert durch und schweigt.
Schließlich sagt er: „Du hast recht. Ich hätte dich gebraucht. Jeden Gott verdammten Tag nach dem Überfall.“
Schuld legt sich schwer auf meine Schultern. Ich gehe einen Schritt näher an ihn heran. Wenn unserer Vergangenheit und unsere Feinde wirklich so schrecklich waren, hat er die letzten Jahre sicher viel durchmachen müssen. Es tut mir unendlich leid ihm dabei keine Hilfe gewesen zu sein. Ich will ihm meine Hand auf die Schulter legen, doch Toni bückt sich.
Er hebt einen Stein auf und wirft ihn weit hinaus aufs Meer. Mit einem Platscher versinkt er in den Wellen. „Es ist ja nicht deine Schuld!“, sagt er.
Ich trete hinter ihn und lege ihm meine Arme um den Oberkörper. Sacht küsse ich seine Schulter.
Er schließt für einen Moment die Augen. „Lass uns einfach die kurze Zeit genießen, ohne an die Zukunft oder die Vergangenheit zu denken. Bitte!“ Er legt seine Hände auf meine Unterarme.
„Na gut!“ Ich küsse seinen Nacken und drücke ihn eng an mich.
Er lehnt sich gegen mich und schließt die Augen.

Lange stehen wir so am Meer und betrachten die Wellen, ohne zu reden, ohne einander frei zu geben. Er wird wohl nicht mehr lange bleiben können, wird mir schmerzlich bewusst. Ich will mir gar nicht ausmalen wie es sein wir, wenn uns wieder ein ganzer Ozean trennt. Ob ich das aushalten kann? Ich habe ihn doch gerade erst wieder gefunden. Er ist ja nicht mal sicher in der Heimat. Was wenn ihm wieder einer dieser Drachen auflauert und er sich nicht zur Wehr setzen kann. Der Gedanke an die neue Narbe auf seinem Oberkörper treibt mir die Tränen in die Augen. Heiß rollen sie mir über die Wange. „Ich kann dich nicht in deinen sicheren Tot gehen lassen!“, sage ich. Meine Stimme ist brüchig und gehorcht mir kaum.
Toni löst sich aus meiner Umarmung, er dreht sich zu mir um. Er nimmt mein Gesicht in beide Hände und wischt mir die Tränen mit den Daumen weg. „Ich bin jetzt hier!“, sagt er und lächelt versöhnlich.
Ich atme erschwert aus und will etwas entgegnen, doch er legt seine Lippen auf meine. Sein Kuss ist lang und intensiv und lässt mich nur noch mehr heulen.
Ich schließe die Augen. Unendlich viele Bilder spucken mir durch den Kopf. So viele Momente in denen auf ihn geschossen wurde, in denen wir fliehen oder kämpfen mussten. So viele Schmerzensschreie, so viele Wunden die versorgt werden musste, so viel Blut und Leid.
Ich lege ihm meine Arme über den rücken und lehne meinen Kopf an seine Schulter. Eng drücke ich ihn an mich, während mir unaufhörlich Tränen über das Gesicht laufen. „Ich binde dich fest, ich schwöre es!“ Ich spüre das bitte Lächeln in seinem Gesicht, ohne es sehen zu müssen.
„Mir wird nichts passieren, okay! Ich habe bis jetzt auch überlebt!“
Also muss er wirklich gehen? Ich lasse ihn nicht los und mich auch nicht beruhigen. Immer deutlicher erinnere ich mich an die Dinge die wir getan haben, an all die Menschen die durch unsere Hand gestorben sind und an all die die in wir aus unseren Reihen beerdigen mussten. Ich weiß wozu diese Leute fähig sind. „Ich lasse dich nicht weggehen!“, sage ich immer wieder.
Toni sagt kein Wort, er lächelt einfach nur und hält mich eng umschlungen. Hin und wieder drückt er mir einen Kuss auf die nasse Wange, bis ich wieder seine Lippen suche.
Wir küssen uns lange, bis der Wind meine Tränen getrocknet und meinen Körper ausgekühlt hat. Ich beginne zu zittern, trotz seiner wärmenden Umarmung.
Toni löst sich von mir, seine smaragdgrünen Augen mustern mich besorgt. „Wir sollten wieder rein gehen! Lass uns den restlichen Tag einfach im Bett verbringen, einfach nur zusammen unter der Decken liegen, ja?“
Ich nicke, zu mehr fühle ich mich nicht in der Lage, bis mir der Gedanke an die Flecken im Lacken und auf den Decken und Kissen kommt. Schmunzelnd sage ich: „Aber vorher sollten wir das neu beziehen!“
Auch auf Tonis Gesicht bildet sich ein Lächeln, seine Wangen werden dunkelrot. „Stimmt!“, sagt er lachend.

Wir verbringen tatsächlich den ganzen Tag im Bett. Ganz ohne Klamotten, ganz eng beieinander. Ich genieße seinen vertrauten Geruch und die Wärme seines Körper, lasse seine Haare durch meine Finger gleiten oder spiele mit den Fingern seiner Hand. Wir brauchen keine Worte nicht mal Sex. Es reicht mir einfach bei ihm zu sein. Wenigstens für den Moment.
Irgendwann müssen wir beide eingeschlafen sein, denn als ich mich das nächste mal umsehe, wird mein Zimmer vom schwachen Licht der aufgehenden Sonne erhellt. Sie steht feuerrot am Firmament und färbt den ganzen Himmel in Pinke und rosa Wolken.
Toni liegt auf meinem Kissen, ich auf seinem Oberkörper. Als ich mich aufrichte, rührt er sich nicht. Sein Schlaf ist ruhig und friedlich.
Ich betrachte ihn einen Moment. Seine Gesichtszüge sind so entspannt, seine schwarzen Haare rahmen sein Gesicht. Er ist so wunderschön und trotzdem habe ich die ganze Zeit das Gefühl ich sehe ihn in einem Sarg und nicht lebendig neben mir liegen. Schließlich wende ich meinen Blick ab und mich im Raum um. Auf dem Boden liegen unsere Klamotten vom Vortag. Mein Blick wird von Tonis Hemd eingefangen.
Der Postbote hat ihm etwas gegeben, etwas das er gefaltet und in die Brusttasche gesteckt hat.
Ich schleiche mich aus dem Bett und knie mich zu seinem Hemd. Einen prüfenden Blick werfe ich auf Toni zurück.
Er rührt sich nicht, sein Atem geht ruhig und gleichmäßig.
So leise wie möglich fische ich den Zettel aus der Tasche klappe ihn auf und lese mir den Inhalt durch. Je mehr Zeilen ich überfliege um so schwerer wird der Stein der sich auf mein Herz legt. Mit jedem weiteren Wort steigt die Gewissheit in mir, das es keine Möglichkeit gibt, ihn hier zu halten. Meine Kehle schnürt sich zu und lässt mich schlucken. Ich heule ohne einen Laut von mir zu geben und falte den Zettel wieder zusammen. So wie ich ihn gefunden habe, schiebe ich ihn wieder in die Brusttasche. Vergeblich wische ich mir die Tränen aus dem Gesicht, während ich zum Bett zurück schleiche, sind längst neue da. Ich lege mich wieder neben ihn.
Sein Kind braucht ihn jetzt, wahrscheinlich viel dringender als ich es tue. Wer weiß wie alt das Telegramm schon ist und wie es seiner Frau inzwischen geht, vielleicht ist sie schon nicht mehr am Legen. Lautlos fallen meine Tränen ins Lacken. Eigentlich will ich ihn gar nicht weglassen. Ich fühle mich erst wieder lebendig seit er da ist. Wenn er geht, wird dieses Gefühl sicher mit ihm verschwinden. Ich wische mir über die Augen um ihn wieder klar sehen zu können. Sacht fahre ich ihm durch die schwarzen Locken.
Es war eben einfach zu schön um wahr zu sein. Er ist nun mal ein Vater und sicher ein bessere als ich. Irgendwie war er schon immer besser in allem, als ich. Er ist stärker, mutiger, selbstloser...
Sicher habe ich ihm seine Entscheidung gestern nicht einfacher gemacht, dabei hat er doch eigentlich gar keine Wahl.
Ich lege meine Hand sanft um seine Wange und gebe ihm einen Kuss.
Noch immer rührt er sich nicht, er muss wirklich erschöpft sein.
Lächelnd betrachte ihn ihn, während mir eine einzelne Tränen über die Wange läuft. „Da kommst du meinetwegen ans Ende der Welt und wirst eigentlich von deiner Familie viel dringender gebraucht. Ich sorge dafür, dass du noch diese Woche nach Hause zurückkehren kannst!“, flüstere ich und betrachte ihn noch einmal liebevoll, dann rutsche ich an den Rand des Bettes. So leise wie möglich erhebe ich mich und schleiche zum Schreibtisch. Ich suche mir ein Blatt Papier und schreibe eine Nachricht darauf:

~Ich habe noch etwas zu erledigen, bin gegen Abend wieder zurück~
Enrico


Den Zettel lege auf die leere Betthälfte. Einen letzten Blick werfe ich auf Toni, dann suche ich meine Klamotten zusammen, ziehe mich an und verlasse das Haus.
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