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 2. Kapitel ~Das jährliche Opferfest~

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Enrico
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BeitragThema: 2. Kapitel ~Das jährliche Opferfest~   2. Kapitel ~Das jährliche Opferfest~ EmptyMo Dez 19, 2016 7:53 am

2. Kapitel
~Das jährliche Opferfest~

Es ist wieder so weit, der schlimmste Tag im Jahr. Am Mittag, als die Sonne hoch oben am Himmel steht und alle noch schliefen, sind sie gekommen. Auf der Lichtung, nahe dem Silbersee, haben sie die Jungen und ihre Eltern zusammen getrieben.
Ihre mächtigen Mähnen wehen, bei jedem ihrer kraftvollen, geschmeidigen Schritte. Die weißen Löwen kommen immer am längsten Tag des Jahres, um den Nachwuchs zu begutachten. Ihre Erscheinung ist furchteinflößend und schön zugleich.
Hinter den Pranken seines Vaters hat er sich versteckt und lugt verstohlen zu den stolzierenden Katern auf. Noch nie zuvor hat er schneeweiße Löwen gesehen. Sein Rudel besteht aus ganz normalen Sandfarbenlöwen. Er ist gerade erst ein halbes Jahr alt, genauso, wie all die anderen Jungen hier, zu jung um zu wissen, was letztes Jahr passierte. Irgendetwas an den Weißen, zieht ihn in seinen Bann. Vielleicht sind es die blauen, erstarrten Augen, die durch alles hindurchzuschauen scheinen, oder ihre ungewöhnliche Fellfarbe? Er will zu ihnen laufen und sie aus der Nähe betrachten, aber das seltsame Verhalten seines Vaters hält ihn davon ab.
Die starken Pranken, hinter denen er Schutz gesucht hat, zitterten, jede Faser am Körper des stolzen Löwen ist angespannt. „Bleib immer in meinem Schatten, sonst erkennen sie unseren Trick!”, sagt er streng. Die Augen seines Vaters sind starr auf die weißen Löwen gerichtet, die jedes Junge genau ansehen und ausfragten. Mit jeder abgeschlossenen Beurteilung, kommen sie ihnen ein Stück näher.
Fang schluckt erschwert. Er und sein Vater haben gehofft, der Rat der Fünf würde in der Nacht kommen, so wie es üblich ist. Dann wäre ihnen vielleicht nicht aufgefallen, dass Fangs Fell nur mit braunem Schlamm gefärbt ist.
Die Anspannung seines Vaters überträgt sich auf den jungen Löwen. Bald zittert auch er am ganzen Leib und beobachtet die fremden Löwen nicht mehr neugierig, sondern furchtsam.
Fang sieht an den starken Pranken seinen Vaters hinauf, in das von einer stattlichen, roten Mähne umrahmte Gesicht. Noch nie hat er seinen Vater so ernst gesehen. Er glaubt zu spüren, dass ihm etwas auf der Zunge liegt, etwas das er den Weißen sagen will, sich aber nicht traut.
„Diese einfältigen Trottel. Wenn es nur mal eines ihrer Jungen treffen würde. Ich wünsche euch, dass er dieses Mal als weißer Löwe wiedergeboren wird!”, knurrt sein Vater in sich hinein.
Fang versteht die Bedeutung der Worte nicht, er spürt nur den unbändigen Hass seines Vaters. All seine Instinkte sagen ihm Flucht. Noch weiter duckt er sich in den Schatten. Hier fühlt er sich geborgen und vor alle Gefahren beschützt, denn sie sind nur noch ein Junges von ihnen entfernt.

Fang sieht zu Zaba. Das Löwenmädchen, mit dem er immer spielt, ist nun an der Reihe. Sie tut ihm so leid, ihre Mutter hat sie den Weißen vor die Pfoten geschoben. Sie kann sich nicht einmal in im Schatten der Mutter verstecken.
„Ich … also …”, stottert Zaba kläglich. Am ganzen Körper zittert die junge Löwin.
Fang kann das Beben ihrer Pfoten bis zu sich spüren.
„Hast du die Frage vielleicht nicht verstanden? Wie viele Sterne siehst du am Himmel?”, wiederholt der Weiße.
Wie erstarrt sieht Zaba zu ihm auf und blickt schließlich in den Himmel. Sie weiß keine Antwort, keiner weiß eine, es sind doch so unzählbar viele. „Ich … ich weiß nicht. Viele?”, stammelt Zaba.
Ihr süßlicher Geruch von Angst steigt Fang in die Nase. Er erschaudert.
„Du bist genau so dumm und gewöhnlich, wie die anderen. Geh zurück zu deiner Mutter.”
Zaba braucht einen Moment, um die Worte zu verarbeiten und nach ihnen zu handeln. Stocksteif, läuft sie zu ihrer Mutter zurück.

Nun ist es so weit, die Weißen kommen zu ihm. Die angespannte Haltung seines Vaters verkrampfte sich zunehmend. Mit hocherhobenem Haupt sieht er die Weißen an. Er ist der Einzige im Rudel, der sich das traut. Fang bewunderte ihn dafür und kann spüren, wie sich der Mut seines Vaters auf ihn überträgt. Stolz erhebt auch er den Kopf.
„Ich erinnere mich an dich!”, spricht der Weiße seinen Vater an.
„Ihr habt vor einem halben Mond meine Frau geholt!”, presste sein Vater heraus. Die Krallen seiner großen Pranken graben sich in die Erde. Sein Gesicht gleicht einer Maske aus Eis.
Beinah bekommt Fang selbst Angst vor ihm.
Die Weißen aber lassen sich nicht einschüchtern. Sie grinsen selbstgefällig, bevor sie sich Fang zuwenden. „Nun zu dir Kleiner! Wie viele Monde hat unser schöner Planet?”
Die Frage ist um einiges leichter, als jene, die Zaba gestellt worden ist. In Fangs Kopf formte sich eine Antwort, doch irgendetwas an dieser Frage stört ihn. Es gibt doch gar keinen Mond, also nicht wirklich. Das was sie Mond nennen ist nur ein Teil, eines viel größeren Planeten. Ohne zu wissen, woher auf einmal die Worte und Gedanken in seinem Kopf kommen, beginnt Fang sie einfach auszusprechen: „Es gibt gar keinen Mond. Das was ihr Mond nennt, ist ein Teil unserer Erde! Sie hat sich vor langer Zeit in zwei Hälften geteilt.”
Alle starren ihn an. Selbst sein Vater sieht erschrocken auf ihn hinab.
Fang weiß nicht woher dieses Wissen auf einmal kommt, aber er ist sich ganz sicher, dass es stimmt.
„Ihr bekommt ihn nicht!”, schreit sein Vater aufgebracht. Blitzschnell packte er Fang, seine scharfen Zähne legen sich sanft um den kleinen Körper, dann rennt er los.
„Bleib stehen!”, schreien die Weißen ihnen nach und nehmen die Verfolgung auf.
„Er muss sterben!”
„Für das Wohl aller!”
„Wie kannst du das Leben deines Sohnes, über das von uns allen stellen?”
„Bleib stehen Aaron!“
„Sei doch vernünftig!“
Wild rufen sie durcheinander, nicht nur die Weißen, auch die Löwen aus ihrem Rudel.
Fang sieht zu ihnen zurück. Wollen sie wirklich, dass die Weißen ihn holen? Immer heftiger wird er hin und her geschüttelt. Noch nie zuvor hat er seinen Vater so schnell rennen sehen. Er läuft den Weißen einfach davon. In der Ferne werden sie und auch ihr Rudel, immer kleiner.
Sie werden nie wieder zurückkehren können, begreift Fang in diesem Moment. Zaba und die anderen, er wird sie nie wieder sehen. Ein Stechen durchzuckt sein kleines Herz, Tränen füllen seine Augen.

Der Atem seines Vaters bläst heiß und schnell um Fangs Körper. Sie erreichen den Waldrand, vor ihnen breitete sich eine große Wiese aus, die bis an den Horizont reicht. Auf ihr grasen überall Huftiere. Ihr Jagdgrund.
Die grasenden Herden stören sich nicht an ihnen.
Aaron öffnet sein Maul, unsanft fällt Fang ins Gras und auf den harten Boden darunter.
Der junge Löwe sieht fragend auf. Sonst setzt sein Vater ihn behutsamer ab. Als Fang sich wieder aufrichtet und hinter sich schaute, liegt Aaron keuchend im Gras und ringt nach Atem. Besorgt tapst Fang auf ihn zu, doch der wütende Blick seines Vaters lässt ihn inne halten.
„Warum musstest du dir ausgerechnet mein Junges aussuchen?”, keucht er.
Fang versteht kein Wort. Der kleine Löwe hat nicht den Eindruck, dass er gemeint ist, also sieht er sich verstört um. Doch hier sind nur sie beide und der Blick seines Vaters ist eindeutig auf ihn gerichtet. „Was?”, fragt er kleinlaut.
Der Atem seines Vaters beruhigt sich, er steht auf und kommt auf ihn zu. Sein mächtiger Kopf, mit der gewaltigen Mähne, senkt sich er vor Fang, sein Blick ist noch immer ernst und seine Augen funkeln bedrohlich.
Der kleine Löwe bekommt es mit der Angst zu tun, tief duckt er sich ins hohe Gras.
„Warum auch noch ihn?”, schreit Aaron, „Hat es dir nicht gereicht, dass sie schon meine Frau geholt haben?” Seine Stimme ist so laut und anklagend, dass Fang immer mehr in sich zusammen sinkt. Noch weiter duckt er sich auf den Boden und legt die Ohren an. So wüten hat sein Vater noch nie mit ihm gesprochen, nicht mal, als er sich unerlaubt vom Rudel entfernt hat und beinah von einer Herde Zebras zertrampelt worden wäre.
„Papa?”, wimmert er immer wieder verzweifelt. Große Tränen kullern über seine Wangen. „Papa … es .. es tut mir leid. Bitte nicht böse sein. Ich hab dich doch lieb!” Immer wieder spricht Fang seine Worte, wie ein Gebet an den Vater.
Bedrohlich legt sich der Schatten Aarons über ihn, sein heißer Atem streifte Fangs Fell. Gänsehaut durchzuckt den kleinen Körper, immer mehr Tränen laufen ihm vom Gesicht.
„Verschwinde aus meinem Sohn, du verfluchter Drache! Such dir ein anderes Junges!”
„Papa! Ich bin’s doch! Fang! Ich bin kein Drache! Bitte Papa! Bitte! Schau mich doch an! Ich bin ein Löwe, wie du!” Fang schließt die Augen, er will nichts mehr sehen, nichts mehr hören. Leise wimmert er vor sich hin, in der Hoffnung, der Alptraum hört auf.
Aaron seufzt tief und kehlig. Die Erde bebt unter Fangs Pfoten, als sich sein Vater fallen lässt.
Nur zögernd wagt der kleine Löwe seinen Blick zu erheben.
Der grimmige Ausdruck in den Augen Aarons ist verschwunden. Einen Moment lang sieht er ratlos über die Lichtung, als wenn er sich von dort Hilfe erhofft. „Es tut mir leid Fang”, säuselt er in den Wind, der die Grashalme biegt, „Komm her zu mir!” Erst jetzt sieht er ihn an. Seine rechte Pfote streckt er nach Fang aus und lädt ihn ein, in seinen schützenden Schatten zu kommen. Seine Stimme ist wieder freundlich und mild.
Noch immer kullern dicke Tränen von den Wangen des Löwenjungen, er drängt sich an die linke Vorderpfote seines Vaters. „Es … es tut mir leid, dass ich den Weißen die Wahrheit gesagt habe”, schluchzt er.
„Das war nicht deine Schuld”, flüstert ihm sein Vater ins Ohr. „Komm wir gehen dein Fell waschen”, schlägt er vor.
Nur mit Mühe gelingt es Fang sich zusammenzunehmen und die Tränen hinunterzuschlucken. Mit der Pfote wischt er sich über die Augen, dann nickt er.
„Na komm!” Sein Vater erhebt sich und geht voraus.
Langsam trottet Fang ihm nach. So viele Gedanken beschäftigen seinen kleinen Kopf. Sonst holen die Weißen nur Katzen, die etwas Unrechtes getan und das Gesetz gebrochen haben. „Dad, warum wollen die Weißen mich holen? Hab ich was falsch gemacht?”
Aaron wird langsamer, bis er mit Fang auf einer Höhe läuft. Sein Blick verliert sich in der Ferne. „Es gibt eine Prophezeiung …”, sagt Aaron, „… dass ein Drache aus alter Zeit zurückkommen wird, dass er als Kater unter uns immer wieder geboren wird. Sein Zorn soll eines Tages unser Untergang sein. Die Weißen haben so große Angst davor, dass sich diese Prophezeiung erfüllt, dass sie jedes Jahr nach der Wiedergeburt des Drachens suchen und ihn töten, damit der Frieden für ein Jahr gewährleistet ist. Dazu fragen sie die Jungen aus, um herauszufinden, ob eines unter ihnen ist, dass Dinge weiß, die es nicht wissen kann, die man ihm nicht beigebracht hat. Deswegen ist es auch verboten den Jungtieren Märchen und Legenden zu erzählen, bis der Rat der Weißen alle Welpen eines Rudels befragt hat. Du wusstest etwas, was dich keiner gelehrt hat. Deswegen glauben die Weißen, du seist der Drache aus der Prophezeiung. Ich bin mir sicher, dass sie auch unseren Trick mit dem Schlamm durchschaut und deine verräterische Fellfarbe gesehen haben.”
Jetzt bekommt es Fang erneut mit der Angst zu tun. Er will doch gar nicht böse werden und Unheil bringen und noch weniger, will er von diesen gefährlichen Weißen geholt werden. „Papa? Glaubst du etwa, was die Weißen sagen?”, traut er sich kaum zu fragen.
„Ich weiß es nicht!” Eindringlich sieht Aaron ihn an. „Woher weißt du von der Einheit unserer Welt und dem Mond?”
Fang macht sich klein. Der bohrende Blick seines Vaters gräbt sich tief in sein Herz. „Ich … ich weiß nicht”, stammelt er, „Ich weiß es einfach. Es tut mir leid. Hast du mich deswegen nicht mehr lieb?”
Aaron seufzt, sein Blick wird wieder sanft und weich. Er betrachtet Fang einen Moment lang, bevor er ihm antwortet: „Als sie deine Mutter holten, habe ich ihr versprochen, dich mit meinem Leben zu beschützen und das werde ich auch tun. Du bist und bleibst mein Sohn, egal woher deine Seele stammt. Nur versprich mir eines Fang. Egal was passiert, du wirst nie deine Krallen zum Kampf gegen eine Großkatze ausfahren.”
Erleichtert nickt Fang. Das ist leicht, dass kann er. Er wird lieb und ein guter Sohn sein, ganz bestimmt. In ihm schlummert kein böser Drache, ganz gleich, was die Weißen auch behaupten. Auch wenn sein Fell unter dem ganzen Schlamm noch so schwarz ist, in seinem Herzen, trägt er dieselbe Sandfarbe, wie sein mutiger Papa.
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