1. Kapitel
~Friedhof, der Anfang vom Ende~
„Ich will dich sehen, sofort!“, spreche ich streng in den Höher des Münzfernsprechers.
„Enrico?“
„Ja! Bewege deinen verlogenen Arsch aus dem Haus. Wir treffen uns in einer Stunde auf dem Friedhof, an meinem Grab. Und bring Waffen und Munition mit!“, weiße ich ihn an und lege auf. Stumm betrachte ich die Wählscheibe des Automaten und atme tief durch, dann fällt mein Blick durch die Glastür, auf den Bürgersteig. Mein Leibwächter, ein großer Mann mit schwarzen, schulterlangen Haaren, hat mir den Rücken zugedreht und beobachtet die Straße. Seine Haltung ist angespannt. Während er sich eine Kippe anzündet, verlasse ich die Telefonzelle und bleibe neben ihm stehen.
„Und, wo treffen wir uns mit ihm?“, will er wissen.
„Auf dem Friedhof“, antworte ich.
„Bringt er was mit?“
„Das will ich ihm raten. Nach der Scheiße, die er abgezogen hat, sind ein paar anständige Pistolen, ja wohl das mindeste.“
Toni betrachtet mich streng. „Halt dich etwas zurück, wenn wir ihn sehen. Wir werden ihn und seine Frau noch brauchen.“
Ich erwidere nichts, sondern gehen mit den Händen in den Jackentaschen los.
„Enrico!“, ruft Toni mir warnend nach.
„Ja, ja, ich werde ihn schon am Leben lassen“, entgegne ich gereizt und füge flüsternd an, „Auch wenn ich ihn lieber in der Luft zerreißen möchte.“
Toni kommt mir nach und läuft neben mir. „Dann mal auf in den Kampf, was?“ Er erhebt den Arm und ballt die Hand zur Faust.
„Bis in den Tod ...“, beginne ich und lege meinen Unterarm gegen seinen.
„... und wieder zurück!“, bringt er den Satz zu ende und drückt seinen Arm an meinen.
Als wir das Grab erreichen, bekomme ich den Mund nicht mehr zu. Ein weißer Marmor, reicht vor mir spitz in den Himmel. Er ist von kleinen Hecken umwachsen, die nach vorn einen Eingang bilden. Um den Sockel, des gigantischen Grabsteines, sind über alle Blumen gepflanzt. In etlichen Vasen stehen Sträuße und am Marmor lehnen Kränze. Auf einer Platte im Sockel steht eingraviert:
Enrico River
17.08.1908 – 21.08.1928
~Bis in den Tod, doch du kommst nie mehr zurück~
„Euer ernst?“, will ich von Toni wissen.
„Naja, der ganze Clan hat nach deinem Tod zusammen geschmissen und der Pate war auch ziemlich großzügig.“
Ich rolle mit den Augen. Als wenn ich eine Berühmtheit oder jemals tot gewesen wäre.
„Den Spruch konntest du dir nicht verkneifen, oder?“
Toni sieht unter meinem Blick hinweg und schweigt.
Schritte knirschen auf dem Weg, wir drehen uns danach um. Ein Mann Mitte dreißig, kommt auf uns zu. Er hat die Hände in den Taschen seiner Hose und schüttelt immer wieder mit dem Kopf, während er uns ansieht.
„Was willst du Vollidiot hier in New York? Du willst wohl unbedingt jung sterben, was?“, spricht er mich an.
Ich verschränke die Arme vor der Brust und betrachte ihn kritisch.
„Wie wär's erst mal mit ner Entschuldigung?“
„Wofür?“
„Für deinen Brief, du verlogenes Arschloch!“
Sein Blick wechselt zwischen mir und Toni.
„Tut mir nicht leid.“
Ich sehe ihn fassungslos an. Wut steigt in mir auf und lässt mich finster schauen.
„Und du? Hast du nichts besseres zu tun, als deinen besten Freund, einem Rudel tollwütiger Mörder zum Fraß vorzuwerfen. Er ist in Italien besser aufgehoben, das waren deine Worte“, richtet er sich an Toni.
„Die Situation hat sich eben geändert, Raphael!“
„Hast du wenigstens mitgebracht, worum ich dich gebeten habe?“, frage ich ernst.
„Wozu? Damit ihr euch sofort in den Kampf gegen die Drachen stürzen könnt?“
Ich mustere Raphael genau. Unter der dünnen Jacke gibt es zwei Beulen. Eine rechts, die andere links über seiner Hüfte. Ich halte direkt auf ihn zu und sehe ihm stur in die Augen. Als ich vor ihm stehen bleibe, greif ich unter seine Jacke. Er packt meine Hand am Gelenk. Ich reiße mich los und nehme mir den Revolver aus seinem Hosenbund. Wieder greift Raphael nach meinem Handgelenk und hält es dieses mal eisern fest. Durchdringend sieht er mich an, als er sagt: „Enrico, die haben mehr als einmal versucht dich umzubringen. Was glaubst du machen sie, wenn sie erst erfahren, das dein Tod nur vorgetäuscht war?“
„Sie ahnen bereit's etwas“, entgegne ich, „Sie sind Toni nach Italien gefolgt und haben ihn und die Kinder angegriffen. Wir sind nirgendwo mehr sicher. Das waren wir nie. Wenn wir nicht endlich zurück schlagen, wird es bald nichts mehr geben, wofür es sich zu kämpfen lohnt“, lasse ich Raphael wissen. Er sieht mich ungläubig an, sein Griff lockert sich. Ich befreie mich daraus und sehe im Lauf der Waffe nach. Die Trommel ist voller Patronen, ich schließe sie, dann werfe ich den Revolver Toni zu. Ungeniert greife ich Raphael noch einmal unter die Jacke und nehme die zweite Pistole an mich. Er lässt es zähneknirschend zu.
Als ich die Neunmillimeter betrachte, stockt mir der Atem. Auf ihrem Lauf ist ein Rudel Wölfe eingraviert, ihr Griff verläuft in eine Elfenbeinschale, an deren Ende ein Kette befestigt ist. An ihr baumelt ein metallener Wolfskopfanhänger. Das ist ja meine alte Pistole. Aber hat die nicht Michael an sich genommen, bevor er die Lagerhalle angezündet hat?
„Woher hast du die?“, will ich todernst wissen.
Raphael sieht von mir zu Toni.
„Antonio hat sie dem Chef der Drachen gestohlen und wäre dabei fast drauf gegangen.“
Ich ziehe eine Augenbraue fragend in die Höhe und drehe mich nach meinem Leibwächter um.
„Hast du den Verstand verloren, für eine Pistole dein Leben zu riskieren?“, frage ich schroff.
Toni verschränkt die Arme und sieht unter meinem Blick hinweg. Er zuckt mit den Schultern und meint kleinlaut: „Aaron hat das in Auftrag gegeben.“
Mir doch egal, was der Pate verlangt, das ist einfach bescheuert gewesen. Ich hole Luft, um meiner Wut Ausdruck zu verleihen, doch Toni fährt fort: „Außerdem hatte ich nichts mehr zu verlieren, als ich dich für tot gehalten habe.“
„Vollidiot!“, murre ich und schüttle mit dem Kopf. Trotzdem huscht mir ein flüchtiges Lächeln über die Lippen. Er wäre mir echt bis in den Tod gefolgt?
Raphaels Hände legen sich schwer auf meine Schultern. Als ich mich nach ihm umdrehe, sieht er mich eindringlich an. „Enrico, überlege dir das Ganze noch mal. Noch kannst du untertauchen und nach Italien zurück. Du hattest dort doch ein gutes Leben. Mechaniker, das ist doch tausend mal besser, als ein kein Killer zu sein. Was ist an einem ruhigen Leben, auf dem Land, denn bitte auszusetzen?“
Ich schüttle seine Hände ab und trete einen Schritt zurück.
„Hast du mir nicht zugehört? Sie sind auch in Italien. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie mich dort gefunden hätten. Aarons Bruder musste schon sterben. Ich bringe alle in Gefahr, die mir da ans Herz gewachsen sind. Außerdem habe ich hier noch mehr als eine Rechnung zu begleichen. Diese Dreckskerle haben sich an meiner Tochter vergriffen, sie haben meinen Clan ausgelöscht und mich und Toni fast umgebracht. Ich bin lange genug vor ihnen davon gelaufen. Das hat jetzt ein Ende!“
„Enrico, die legen dich um!“
„Nicht wenn ich schneller bin!“
„Enrico!“
„Lass mich! Ich will von einem Lügner, wie dir, kein Wort mehr hören!“ Ich packe Raphael am Kragen seiner Jacke und ziehe ihn näher zu mir. Leise aber bestimmt, lasse ich ihn wissen: „Das du mich glauben lassen hast, Toni sei erschossen worden, nur damit ich in Italien bleibe, verzeihe ich dir nie und wenn du dich noch einmal, zwischen ihn und mich stellst, dann bist du als Bruder für mich gestorben!“ Hart stoße ich ihn von mir und sehe über die Schulter zu meine Leibwächter.
„Wir gehen!“, entscheide ich und remple meinen großen Bruder beim Gehen an der Schulter an.
Als Toni sich in Bewegung setzt, um mir zu folgen, hält Raphael ihn am Oberarm fest und sieht ihn eindringlich an. „Pass auf ihn auf! Er ist alles an Familie, was mir geblieben ist“, fordert er.
Toni nickt, dann löst er Raphaels Hand von sich und kommt mir nach.